Viel Geld ist schon von der Schweiz zurück nach Österreich gewandert. Wie viel genau - daran wird noch gerechnet.

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Die Suche nach dem Geld beginnt mit einer Falschmeldung. Anfang September berichteten österreichische Tageszeitungen und Fernsehstationen, dass die Einnahmen aus dem sogenannten Schwarzgeldabkommen mit der Schweiz weit unter den Erwartungen geblieben seien.

Zur Erinnerung: Im April 2012 unterzeichnete die damalige Finanzministerin Maria Fekter eine Vereinbarung mit ihrer Schweizer Amtskollegin Eveline Widmer-Schlumpf. Diese sah vor, unversteuertes Vermögen, das Österreicher über Jahre hinweg ins Nachbarland geschafft hatten, nachträglich zu besteuern.

Steuerflüchtigen wurde ein Weg zurück in die Legalität angeboten. Im In- und Ausland sorgte dies für heftige Kritik. "Verbrecher können sich billig freikaufen", war der Tenor. Doch Fekter verteidigte den Deal mit einem Versprechen: Eine Milliarde Euro werde das Steuerabkommen ins heimische Budget spülen.

Anfang September 2014 übermittelten die Schweizer ihre Endabrechnung: Nur 738 Millionen Euro habe der Vertrag mit den Eidgenossen gebracht, schrieben "Kurier" und "Wirtschaftsblatt", das Ergebnis liege "unter den Erwartungen", meldete die APA.

Liest man die Zahlen der Eidgenossen jedoch genau, kommt man zu dem Ergebnis, dass Fekters Vertrag die Erwartungen erfüllt und wahrscheinlich sogar übertroffen hat.

Fekters Versprechen

Um in die Legalität zurückzukehren, standen den Flüchtigen zwei Wege offen. Sie konnten ihr Geld anonym nachversteuern; jener Posten, aus dem die Schweiz besagte 738 Millionen Euro überwies. Oder aber die Österreicher konnten ihre Bank in der Schweiz autorisieren, das Vermögen nach Wien zu melden, um dann selbst die Nachversteuerung zu regeln.

Vielen schien dieses Modell günstiger: Fast 21.500 Österreicher meldeten ein Vermögen von 5,9 Milliarden Euro nach Hause. Noch rechnet das Finanzministerium, denn nicht jeder Cent dieses Betrags muss hinterzogen worden sein. Wenige werden auch legal Geld in der Schweiz geparkt haben. Aber Steuerexperten wie der Linzer Rainer Brandl von der Kanzlei Leitner Leitner sagen, dass von diesen freiwillig gemeldeten 5,9 Milliarden Euro zusätzlich schätzungsweise zehn Prozent ins Budget hereingekommen sein dürften - macht also nochmals bis zu 600 Millionen Euro. Selbst bei einer konservativen Schätzung wäre somit die Milliarde erreicht.

Die Geheimkonten wurden nachversteuert: An dieser Stelle könnte diese Geschichte schon enden. STANDARD-Recherchen legen aber nahe, dass einige Steuerflüchtige in der Schweiz einen dritten Weg wählten: Sie haben erneut die Flucht vor der Finanz ergriffen. "Abschleicher" nennen Fahnder diese Gruppe. Zwischen April 2012, als das Abkommen unterzeichnet wurde, und seinem Inkrafttreten Anfang 2013 gab es kein Gesetz, das die Vermögenden vor einer Flucht aus der Schweiz gestoppt hätte. "Da dürften beträchtliche Gelder abgezogen worden sein", sagt Steuerberater Brandl, der heimische Anleger in der Schweiz auf dem Weg zurück in die Legalität beriet.

Unterschiedliche Motive

Die Motive der Abschleicher sind unterschiedlich, sagen Steuerexperten: Manche reize der Nervenkitzel, bei anderen geht's um viel Geld. Wie viel die Abschleicher abgezogen haben, lässt sich erahnen: Rund 20 Milliarden Euro Schwarzgeld hätten die Österreicher in der Schweiz gebunkert, hieß es 2012 im Finanzministerium. Rechnete man zusammen, was über das Abkommen erfasst wurde, komme man auf ein Vermögen von rund zehn Milliarden, sagt Alexander Lang, Steuerberater bei Deloitte. Bis zu zehn Milliarden fehlen also. Wo ist dieses Geld?

Im Finanzministerium weiß man dies. Vertraglich wurde vereinbart, dass die Schweizer den Österreichern jene zehn Destinationen melden, in die die meisten Abschleicher ihr Geld geschafft haben. Auf dieser Liste stehen keine Namen, sonder nur Länder und die Zahl der Flüchtigen. Ihr Erhalt wird im Ministerium bestätigt. Zum Inhalt wird aber geschwiegen. Dies wurde mit der Regierung in Bern so vereinbart.

Viel Geld nach Hause geholt

Doch es sieht so aus, als sei der größte Teil der Gelder nicht in Steueroasen wie Singapur gelandet. Die Indizien sprechen dafür, dass der Großteil schwarz nach Hause geholt wurde. "Es ist ein offenes Geheimnis, dass auf der Liste Österreich ganz oben steht", sagt Steuerberater Lang. Auch der zuständige Beamte im Finanzministerium, Heinz Jirousek, schreibt in einem Fachbeitrag für die "Österreichische Steuerzeitung" im August von einem "anonymen Abzug von Vermögenswerten" aus der Schweiz nach Österreich.

Es gibt logische Gründe dafür, dass Abschleicher ihr Geld auf heimische Depots verlagert haben. In den vergangenen Jahren wurde der internationale Kampf gegen Steuerflucht intensiviert. Auf Anfrage müssen sich Staaten gegenseitig über Bankguthaben von Ausländern informieren.

Österreich hat sich der Tendenz nicht verweigern können. Auf EU-Ebene wird man 2017 zur Offenlegung von Konten übergehen. Doch dies gilt nur für Steuerausländer.

Geschützte Inländer

Bei Inländern beharren SPÖ und ÖVP weiterhin auf dem Bankgeheimnis. Nur der konkrete Verdacht auf Hinterziehung oder eine Straftat berechtigen zur Kontoöffnung. Gelder im Inland sind also gut geschützt. Für viele Hinterzieher ist Österreich die beste Lösung. Sie müssen nur zehn Jahre unentdeckt bleiben, und ihr Verbrechen verjährt.

Experten aus der Finanzbranche erzählen, dass bis zum Sommer 2012 die heimischen Banken kein Problem damit hatten, ihre Depots für Steuersünder zu öffnen. Gegen Geldwäsche gibt es strenge Regeln - Kreditinstitute müssen sich die Herkunft von Geldmitteln bestätigen lassen. Aber Steuerhinterziehung ist bisher kein Tatbestand der Geldwäsche.

Der strikte Schutz des Bankgeheimnisses für Inländer hat noch eine skurrile Folge: Im Finanzministerium wird derzeit erwogen, die Abschleicher ausfindig zu machen. Es geht neuerlich um Mehreinnahmen von Hunderten Millionen Euro. Durch eine Gesetzesreform im Juni kann Österreich auch tatsächlich weitgehendere Anfragen an das Ausland über Konten stellen, sagt Steuerberater Lang.

Gruppenanfrage wird überlegt

War bisher die Identität eines Hinterziehers notwendig, reichen nun allgemeine Anhaltspunkte. Österreich könnte eine Gruppenanfrage an die Schweiz stellen, um zu erfahren, welche Staatsbürger ihr Geld 2012 nach Hause geschafft haben. In dem erwähnten Fachbeitrag wird dies durch den Beamten Jirousek direkt in Erwägung gezogen. In den kommenden Monaten dürfte das Finanzministerium entscheiden, auch wenn es offiziell keinen Kommentar gibt.

Das Ganze entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Österreichs Regierung würde die Schweiz über Österreicher befragen, die ihr Geld nach Österreich geschafft haben. "Damit ist klar, welche skurrilen Folgen das Bankgeheimnis für Inländer hat", sagt der Grünen-Politiker Werner Kogler, "es schützt es ausschließlich Betrüger." (András Szigetvari, DER STANDARD, 25.9.2014)