Robert Plant (66) zeigt sich musikalisch von seiner besten Seite.

Foto: Joel Ryan

Atmosphäre. Das ist das Erste, was auffällt. Noch bevor man sich in die Musik vertieft, ist da das, was sie wie ein Vorhang umgibt, wie ein Nebel über einem Tal liegt. Das kann ein Ablenkungsmanöver sein oder ein Qualitätsmerkmal. Ein Ablenkungsmanöver, weil man in Atmosphäre auch ersaufen kann, wenn sonst nichts mehr nachkommt. Aber wir reden hier von Robert Plant und seinem neuen Album "Lullaby and ... The Ceaseless Roar". Und wie soll man sagen, was nicht gesagt werden muss: Herr Plant genießt einen gewissen Vertrauensvorschuss. Er hat mit Led Zeppelin Heavy Rock erfunden. Damals, Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre. Alles, was seit damals irgendeine Schweinerockaffinität besitzt, zahlt einmal im Jahr einen Groschen auf sein Konto ein. Wir sprechen von einer ewigen Schuld, die dieser symbolische Akt verdeutlicht. Abarbeiten? Unmöglich.

Der Brite war Sänger von Led Zep. Hohe Stimme, langes Haar, viriles Gezappel unterhalb der Gürtellinie, und wir reden da nicht nur von den Beinen. Dieser Plant also, der schon lange aussieht wie eine alte Squaw, was der Winnetou heute nicht mehr gerne hört, der hat ein neues Album aufgenommen. Und zwar mit der Begleitband The Sensational Space Shifters.

Nur werden Vertreter seiner Generation oftmals wunderlich. Die sitzen dann auf ihren Schlössern in Schottland, Frankreich oder einem selbstgebauten Neverland, und weil Orchideenzüchten einen gelernten Rockstar irgendwann auch nicht mehr befriedigt, kommen sie oft auf komische Ideen. Man denke an Pauli McCartney und seine Ausflüge ins klassische Fach. Oder an Sting und seine Laute. Oder an Ritchie Blackmore, der irgendwann beschlossen hat, ein alter Kelte zu sein.

Nicht Plant. Wenn er eine Idee hat, muss man sich nicht fürchten. Man denkt voll Wärme an das Album "Raising Sand", das er vor sechs, sieben Jahren mit Alison Krauss aufgenommen hat. So ein herrlich verwischtes Countryalbum. Auch das besaß eine Atmosphäre, die einem fast den Atem nahm. Die Schönheit schafft das manchmal. Country gibt es auch auf "Lullaby and ... The Ceaseless Roar". Und zwar jenen, den man Appalachen-Folk nennt. Da wird gefiedelt und gefuddelt, das muss man mögen. Zum Beispiel im Song "Poor Howard". Das ist nicht einer dieser von Ennio Morricone der Prärie eingeschriebenen Soundtracks, sondern doch eher Eins-a-Hinterwäldlermucke mit Banjo und verdächtig eng stehenden Augen.

Aber Plant darf das. Außerdem geht er ja gleich eins weiter, legt mit "House of Love" das vielleicht schönste Lied des Albums nach. Eine sanft ins höhere Midtempo getrommelte Ballade, in der die Band im Unterholz herzhaft vor sich hingrummelt, während ein Synthie den Himmel aufreißt und Plants Stimme zwischen den Höhen und Tiefen mit der diplomatischen Erfahrung eines 66-Jährigen vermittelt.

Detailverliebt instrumentiert setzt sich das bei "Up on the Hollow Hill" fort. Man denkt an Tom Waits und Joe Henry und dass Plant mit diesem Album so eine Art Missing Link zwischen den beiden gelungen ist. Zwischen der gepflegten Salonpoesie Henrys und dem dreckigen Saloonjargon Waits'. Ein neues Album wie ein alter Freund. (Karl Fluch, DER STANDARD, 26.9.2014)