John Locke (1632-1704) gilt als ein Begründer des Liberalismus.

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Adam Smith (1723-1790) glaubte an die "unsichtbare Hand", die von Eigennutz zu gesellschaftlichem Gesamtwohl führt.

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Der Österreicher Friedrich August von Hayek (1899-1992) zählt zu den Vordenkern des Neoliberalismus.

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Karl Popper (1902-1994), in Wien geboren, ab 1937 in Neuseeland und England im Exil, kämpfte für die "offene Gesellschaft".

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John Rawls' (1921-2002) politischer Liberalismus setzt auf gerechte Institutionen.

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Fast auf den Tag genau vor sechs Jahren, am 30. September 2008, zog Heide Schmidt einen Schlussstrich: "Ich sehe keinen Grund mehr weiterzukämpfen. Das Projekt ist abgeschlossen." Das "Projekt" war, in Österreich eine liberale Partei zu etablieren: das Liberale Forum (LIF), das die ehemals freiheitliche Politikerin 1993 aus Protest gegen das "Ausländervolksbegehren" der FPÖ gegründet hatte. Zweimal, 1994 und 1995, schafften die Liberalen den Sprung ins Parlament, 1999 flogen sie hinaus. Einen Anlauf wagte Schmidt 2008 noch - und scheiterte. Es war der Moment, in dem sich bei der LIF-Gründerin der Eindruck verfestigt hatte, "dass eine liberale Partei in diesem Land anscheinend nicht erwünscht ist".

Tatsächlich?

Vor einem Jahr, am 29. September 2013, wurde wieder eine liberale Partei ins Hohe Haus gewählt. Sicherheitshalber hat sie sich getarnt, anderer Name, neuer Spirit, das "Liberale" etwas versteckt im Handgepäck, um nur ja nicht unnötig zu verschrecken: Neos, die sich das LIF einverleibt haben.

Zwei Wahlen später, zum EU-Parlament und in Vorarlberg, die den Neos achtbare Erfolge, wenngleich unter den hohen Umfragewerten, brachten, stellt sich nun die Frage: Sind die Liberalen im pinken Neos-Kleid unter Matthias Strolz diesmal gekommen, um zu bleiben? Vor allem aber: Warum ist es für liberale Parteien hierzulande so schwer, Fuß zu fassen?

Fünf Verdachtsmomente, die der Idee des Liberalismus, der sich im Kern um die Idee eines freien Lebens dreht, die Freiheit des Individuums ins Zentrum stellt und gegen weltanschauliche, soziale, wirtschaftliche und politische Fesseln verteidigt, in Österreich so hartnäckig im Weg stehen.

Die halbe Aufklärung Der gängigste "liberale" Dreisprung lautet: Liberale - Heide Schmidt - Kruzifixstürmer. Vermeintlich ein Randthema, für echte Liberale aber eines, das einen Kernpunkt liberaler Gesellschaftspolitik betrifft. Als Kind der Aufklärung ist für den Liberalismus die Trennung von religiöser und staatlicher Sphäre zentral. Diese Trennung wurde in Österreich nie ganz vollzogen. De facto gibt es nur halbe Religionsfreiheit: die Freiheit zur Religion, aber nicht die Freiheit von Religion. Wer sie, oder gar das Konkordat, anzutasten wagt, wie Schmidt, bekommt schnell die engen Grenzen für liberales Denken zu spüren. Beispiel für die defizitäre Trennung von Kirche(n) und Staat sind jene 82 Millionen Euro, die der Bund jährlich für konfessionellen Religionsunterricht ausgibt. Durch die finanzielle Bevorzugung kirchlicher Privatschulen steigt der staatliche Betrag (nur für Bundesschulen) pro Jahr auf 286 Millionen. Neutraler Staat?

Dass Kirchen, egal, welche, mit liberalen Ideen schnell kollidieren, ist systemimmanent: Wer den Einzelnen und seine Freiheit, souveräne Entscheidungen zu treffen, solange sie keinem anderen schaden, an die Stelle stellt, wo Gott dogmatisch thronen sollte, muss aus Klerikersicht wie Teufelszeug anmuten. Papst Pius IX. listete 1864 den Liberalismus denn auch im "Verzeichnis der Irrtümer", dem "Syllabus Errorum", auf.

Das dekorative Häppchen Liberalismus hatte in Österreich meist Häppchencharakter. Oder ist begehrtes Accessoire für Politiker, die auch einmal gegen die Parteilinie agieren und dafür gern mit dem Titel "liberal" geadelt werden. Jeder suchte sich sein "liberales" Ding heraus, aber keiner wollte wirklich liberal sein. Und die, die es waren, das liberale Kernmilieu, die österreichischen Juden, sind von den Nazis vertrieben oder vernichtet worden.

Die ÖVP griff bei wirtschaftsliberalen Versatzstücken zu, nach dem "Raab-Kamitz-Kurs"-Motto "Zuerst verdienen, dann ausgeben". In der SPÖ verkörperte Bruno Kreisky zeitweilig kulturpolitische Liberalität und Weltoffenheit. Bei den Freiheitlichen konnte der liberale Flügel den Wettstreit mit dem (deutsch-)nationalen nie gewinnen. Und den Grünen steht die Lust am pädagogischen Verbot oft im liberalen Weg.

Tatsächlich gab es vor dem LIF nur einmal, mit der 1896 gegründeten Sozialpolitischen Partei, eine liberale Partei, die etwa für Gleichheit vor dem Gesetz und Frauenemanzipation sowie gegen soziale Ungleichheit eintrat - antiklerikal und von Intellektuellen getragen. Heikle Mischung ... also bald wieder Geschichte. Die Neos probieren es daher mit Emotion als Wärmeflasche für liberale Inhalte.

Der niedrige Kuschelfaktor Liberalismus ist keine politische Wellnessoase. Liberale Parteien sind nicht heimelig. Liberalismus ist eine permanente Zumutung. Die Zumutung besteht vor allem in der Freiheit der anderen. Und Futter für Populismus gibt's dort auch nicht. Die Vorarlberger Neos-Spitzenkandidatin etwa forderte direkt vor der Wahl eine Reform der Wohnbauförderung. Es ist hierzulande, vorsichtig gesagt, doch eher unüblich, den Wählern vor einer Wahl die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie als vernünftig gilt.

Bei den Liberalen gibt es nichts geschenkt. "Nur" die Freiheit. Und die ist auch anstrengend. Weil sie genutzt sein will. Darum sind Liberale unbequem. Weil sie Eigeninitiative fordern. Heb deinen Hintern und tu was! Nimm dein Leben in die Hand. Nutz deinen Verstand. Sapere aude! Wage es, weise zu sein! Oder, wie Immanuel Kant für die Aufklärung formulierte: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.

Die vulgäre Individualisierung Apropos Verstand. Hat jede/r. Nutzen nur nicht alle. Sollten sie aber, sagen Liberale, wissend, dass es nicht alle können, sondern Hilfe brauchen. Hilfe zur Freiheit. Darum ist Bildung für Liberale einer jener Bereiche, wo der Staat für Ausgleich sorgen muss, um substanzielle Chancengleichheit herzustellen. Da geht es um jedes einzelne Kind. Nicht nur das eigene. Oder, wie Heide Schmidt ihr Verständnis von "liberal" mit der Sozialdemokratin Rosa Luxemburg (" Freiheit ist immer die Freiheit des anders Denkenden") formulierte: "Um Freiheit zu kämpfen, heißt immer, um Freiheit für die anderen zu kämpfen."

Dieser liberale Grundgedanke, dass es auf jeden Einzelnen ankommt, mutet in Österreich nachgerade systemfremd an. Bestes schlechtestes Beispiel: die Schule, die in einem Kulturkampf um die Vulgärvariante von Individualisierung zerrieben wird. Zwei vermeintliche Gruppen von "Gleichen" tun's dort auch: Dualisierung statt Individualisierung. Wer da nicht hineinpasst, hat Pech.

Aber wer wirklich autonome Persönlichkeiten haben möchte, ja, die sind mühsamer als die dankbar alimentierten Kinder des Taschengeldstaates, müsste alles daransetzen, allen diese Selbstermächtigung zu ermöglichen.

Die trügerische Sicherheit Historisch wurde "der Staat", dieser Lieblingsreibebaum der klassischen Liberalen, in Österreich nie als primärer Garant für persönliche Freiheit der Staatsbürger institutionalisiert. SPÖ und ÖVP haben sich jahrzehntelang - unter dem Eindruck des Bürgerkriegs von 1934 auch mit zivilisierendem Impetus - das Land quasi brüderlich aufgeteilt und "ihre" Leute bedient. Die bedankten sich bei der Wahl brav für die Gaben. Alle wussten, ohne Partei, ohne meinen Bund bin ich nichts - oder fast nichts, und viel schwerer habe ich es auch. Der paternalistische Deal: Tausche Sicherheit gegen Freiheit

Und da soll eine liberale Partei die Freiheit, diese leise Königsdisziplin, hochhalten? Die Zeiten scheinen nicht schlecht für dieses Anliegen. Denn die Krise der Freiheit ist eklatant. Nicht nur in den verfinsterten Winkeln der Welt, wo sie ein Kampf auf Leben und Tod ist. Oder im "Markt", dem Antipoden des Staates im liberalen Weltbild, der bei den horriblen Hochämtern des ungebändigten Finanzkapitalismus im Namen der Freiheit einiger weniger die Freiheit aller gefährdet hat. Oder durch die digitale Totalüberwachung, die grundlegende Bürgerrechte bedroht.

Was auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als die offene, freie Gesellschaft. Liberale könnten ihr eine Stimme geben. Ob sie gehört wird? Das obliegt der Freiheit jedes Einzelnen. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 27.9.2014)