Und der Deutsche Buchpreis geht (am kommenden Montag) 2014 an ... einen dieser sechs Autorinnen und Autoren von der Shortlist.

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Der Preis ist immer Grund zur Freude: Eugen Ruge (2011) ...

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Melinda Nadj Abonji (2010) ...

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Arno Geiger (2005) ...

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Terézia Mora (2013) ...

Foto: APA/EPA/Arne Dedert

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Kathrin Schmidt (2009) ...

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... und Ursula Krechel (2012). Nicht im Bild: Katharina Hacker (2006), Julia Franck (2007), Uwe Tellkamp (2008).

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Wie hat der Deutsche Buchpreis mein Leben verändert?

Eugen Ruge
Preisträger 2011

Glimpfliche Neukalibrierung

Als ich am Morgen nach dem Buchpreis in einem Frankfurter Hotelzimmer erwachte - es war vielleicht halb acht Uhr, zu früh für den ersten Termin - blieb ich noch zehn oder zwanzig Minuten im Bett liegen und dachte über das neue Buch nach, das ich damals schon zu skizzieren begonnen hatte: Cabo de Gata. Es ist vermutlich nicht überraschend, von einem Schriftsteller zu hören, dass Schreiben eine der wichtigsten Konstanten seines Lebens sei. Meine Vormittage gehören der Literatur, meine Währung sind ein paar gelungene Zeilen. Das war vor dem Buchpreis so. Das ist heute so. Und das wird so sein, bis ich dement oder tot bin.

Aber es gibt noch andere wichtige Konstanten in meinem Leben. Ich bin immer noch mit meiner Frau zusammen (und sie mit mir!), und da ich das Glück habe, dass sie eine einigermaßen ehrgeizlose, gemütliche Person ist, die mir den Erfolg in keiner Weise neidet, sondern ihn zusammen mit mir genießt, ist die kleine Neukalibrierung, die solche Ereignisse mit sich bringen, glimpflich ausgefallen.

Auch habe ich noch immer dieselben Freunde, es sind übrigens wenige. Zu meinem letzten Geburtstag waren wir, glaube ich, zehn. Vielleicht ist einer (in Worten: einer) dazugekommen. Aber vielleicht habe ich auch ein oder zwei verloren. Und obgleich ich neuerdings des Öfteren durch die Welt fahre und immer 75 unbeantwortete E-Mails im Postfach habe, fühle ich mich genauso einsam wie zuvor. Einsamkeit verhält sich nämlich keineswegs reziprok zur Anzahl von Kontakten oder Terminen, die einer hat. Einsamkeit ist die Empfindung des Befremdens über die Welt.

Ja, es gibt Momente des Glücks in meinem Leben! Schirmpilze finden. Abends, nach Sonnenuntergang, in den matten Schönwetterhimmel über der Hagenschen Wiek schauen (was ich gerade tue, während ich diese Worte schreibe). Heute Nachmittag habe ich die Südwand unseres Sommerhäuschens gestrichen und eine Schadstelle neu verputzt, und wenn ich mit diesem Text fertig bin, gibt es ein Resteessen: Lammwürste, die ich in kleine Scheiben schneiden und mit Zucchini und Auberginen zusammen in einer Pfanne aufbraten werde - und ich freue mich darauf wie ein Kind. Alles das hat es - so oder ähnlich - auch schon vorher gegeben. Wie auch die Probleme, die ich mit mir herumtrage: Dass ich mich ständig dabei ertappe, es eilig zu haben. Dass ich mehr schaffen will, als ich kann. Dass ich mir, anstatt über die schöne neue Wohnung, die wir in Berlin gekauft haben, glücklich zu sein, Stress mache, weil noch immer ein Regal fehlt oder die neuen Fenster nicht richtig eingeputzt wurden.

Was sich wirklich verändert hat: dass ich nicht mehr immer nach dem Preis schaue, wenn ich im Supermarkt nach irgendwas greife. Dass ich mich über die EU-Politik gegenüber Russland und der Ukraine öffentlich (statt privat) ärgern kann - helfen tut es allerdings auch nichts. Und dass ich das Gefühl habe, dass der nächste Roman, falls ich ihn zustande kriege, auch wirklich gedruckt werden wird.

Und noch was: dass nämlich die letzten drei Jahre, vielleicht sogar die letzten fünf Jahre, kaum zu toppen sind. Alfred-Döblin-Preis (muss hier erwähnt werden), Buchpreis, vierzig Wochen Bestsellerliste, Lobeshymnen in der New York Times, Übersetzungen in zig Sprachen, und dazu gesund (!), geliebt und eine Marathonzeit von knapp über drei Stunden. Besser kann es nicht werden. - Und auch damit muss man zurechtkommen.

Melinda Nadj Abonji
Preisträgerin 2010

Die größere Sucht

Mit meinem zweiten Text habe ich alles erlebt: Von meinem (ersten) Verleger wurde er abgelehnt, monatelang wusste ich nicht, ob er überhaupt seinen Weg an die Öffentlichkeit finden würde - das Thema schien zu peripher zu sein, die Sprache zu schwierig, ungewöhnlich; ein knappes Jahr nach der Ablehnung fand ich einen Verlag, wiederum ein Jahr später wurde der Text ausgezeichnet, mit dem Deutschen Buchpreis.

An mir, an meinem Text wurde - mal enthusiastisch, mal feindselig - abgehandelt, was plötzlich die ganze literarische (und politische?) Welt zu beschäftigen schien. Die Überbelichtung forderte ihren Preis; ich hetzte von einem Tag zum anderen, allen Anstrengungen zum Trotz, eine mir angemessene Geschwindigkeit zu finden. Geholfen hat letztlich die Erkenntnis, dass die Konsequenzen des Preises mit dem Text, mit dem Schreiben selbst nichts zu tun haben. Die Suche, die Sucht nach Wörtern und Sätzen ist stärker als jede äußerliche Anerkennung oder Ablehnung, wie schön, das deutlich erkannt zu haben.

Eine weitere Konsequenz des Preises: Ohne ihn hätte ich ein paar Menschen nicht kennengelernt, die bereits zu unverzichtbaren Weggefährten geworden sind. (Dieser Text ist bereits im Börsenblatt erschienen).

Arno Geiger
Preisträger 2005

Laut und leise

Eins vorneweg, Literaturpreise sind vor allem dann toll, wenn man sie bekommt. Meistens bekommt man sie nicht, das ist unschön. Preise, die man nicht bekommt, unterscheiden sich untereinander vor allem in der Art, wie man sie nicht bekommt: laut oder leise. Laut ist schlecht. Jedenfalls ärgert sich kaum jemand über Literaturpreise, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit vergeben werden. Unter dem Aspekt des Nichtbekommens sind stille Preise angenehmer. Gleichzeitig hört man über stille Preise selten: "Den will ich unbedingt!" Stille Preise haben auch den Nachteil, dass sie noch nie einen Autor oder eine Autorin ökonomisch unabhängig gemacht haben. Der Deutsche Buchpreis hat mich für einige Jahre ökonomisch unabhängig gemacht. Und während dieser Zeit habe ich mich auf eigene Beine gestellt. Die Rahmenbedingungen für mein Schreiben sind eklatant besser geworden.

Es gibt sehr wenige Lenkungsinstrumente, die imstande sind, Autorinnen und Autoren längerfristig mit den nötigen Spielräumen für das Schreiben auszustatten. Obendrein ist der Literaturbetrieb, wie alle kapitalistischen Systeme, latent undemokratisch. Große Namen werden tendenziell groß besprochen, kleine Namen werden tendenziell klein besprochen. Wer schon einen großen Erfolg hatte, wird vom Handel bevorzugt. Wer hat, dem wird gegeben. Im Vergleich zu den meisten Betriebsmechanismen ist der Deutsche Buchpreis eher demokratisch als nicht, er erzeugt Durchlässigkeit von unten nach oben. Man muss sich nur die Liste der bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger ansehen, sehr viele Außenseiter, nicht nur ich, nicht nur Melinda Nadj Abonij, deren wichtiges Buch sonst möglicherweise wenig Aufmerksamkeit bekommen hätte.

Und sonst? Ich lasse mir beim Schreiben Zeit. Der Gewinn des Deutschen Buchpreises hat mich darin bestärkt, mich auf das für mich Wesentliche zu konzentrieren.

Terézia Mora
Preisträgerin 2013

Einfach weiterschreiben

Bin ich froh, ihn zu haben? Ja. Preise sind eine schöne Sache. Aber warum bin ich speziell bei diesem froh? Hauptsächlich, weil ich mir nichts mehr auszurechnen brauche. Ob oder ob nicht. Und was für sagenhafte Verkäufe ich dann haben würde. Dass die Gier in mir und um mich herum geringer geworden ist. Und Ruhm und Ehre? Das mit der Ehre sehe ich eher als eine Sache, die bei einem selbst liegt. Ob man sich ehrenwert verhält oder nicht, ist die zentrale Frage. Ruhm? Ja. Es sollen ruhig so viele Leute wie möglich wissen, was und wie ich erzähle. Nicht wegen dem "Ich" darin, das ergibt sich hauptsächlich aus grammatikalischen Gründen, sondern wegen des "Erzählens".

Literatur soll sichtbar sein für viele. Sie sollen sehen, dass sie da ist und was sie alles sein kann. (Alles.) Nun ist es aber leider so, dass es zwei unangenehme Phänomene im Zusammenhang mit dem Deutschen Buchpreis gibt. Der eine ist die oben erwähnte Gier, die diesen Preis umschäumt. Dabei ist die des Autors (der, das ist kein Klischee, meistens der ärmste Schlucker unter allen am Preis Interessierten ist, der, der sein Fell zum Markte tragen muss, sein Bestes, sein Mit-Blut-und-Schweiß-Hervorgebrachtes, jawohl) die kleinste und harmloseste. Aber was für ein Geröchel Jahr für Jahr aus den verzerrten Mündern der Neider hervorbricht, das ist wirklich nicht schön zu erleben.

Nein, ich meine damit nicht jeden, der Kritik übt oder schlicht nur sagt, er hätte gerne eine andere Liste oder ein anderes Endergebnis gehabt. Diese korrigierenden Kommentare sind sogar absolut notwendig. (Während Geröchel einfach nur Geröchel ist. Es will nicht differenzieren, es will nur bespeien. Man kann das nicht verwechseln. Die Sprache verrät sich.) Differenzierung aber, wie gesagt, ist notwendig. Das Weit-Halten des Horizontes. Denn das andere Unangenehme im Zusammenhang mit dem Deutschen Buchpreis ist das, worüber man zurecht klagt: die schockierende Einengung des Fokusses auf nur wenige und schließlich nur noch auf ein Buch der Saison. Da das mit dem natürlichen Bedürfnis des Menschen in Wohlstandsgesellschaften zusammenhängt, sich von der Überforderung durch das Überangebot an allem zu befreien, ist es ungeheuer schwer, etwas dagegen zu tun. Vielleicht den Preis schon von Haus aus anders präsentieren, bewerben etc., um den Kampf für die Vielfalt nicht nur den anderen zu überlassen? (Lasst uns über Literatur reden.) Was den einzelnen Autor (und auch die Autorin) angeht, der/die zu dieser Vielfalt ja nur seines/etc. beitragen kann, sei zum Schluss so viel zur Stärkung mitgeteilt: so groß das Gezerre auch ist, einmal wird das alles vorbeigehen. Ob du ihn gewonnen hast oder nicht. Verlieren kannst du ohnehin nicht. Und wieso nicht? Weil du der Autor / die Autorin bist. Schau mal: Was wirst du machen, wenn du den Preis nicht gewinnst? Das einzig Sinnvolle: den Staub aus der Kleidung klopfen und weiterschreiben. Und wenn du ihn gewinnst? Na, siehst du. (Nein, ich schreibe nicht anders als vorher. Können oder nicht können ist immer noch die Frage.)

Kathrin Schmidt
Preisträgerin 2009

Anfragen über Anfragen

So ein Buchpreis verändert was. Das Trinkverhalten zum Beispiel. Man bekommt nächsten Tages von seinem Hotelier eine Flasche gut gekühlten Champagner in gelben Rosen ans Bett geliefert, früh um acht, und nippt ganz gegen alle Gewohnheit, um diese Zeit!, daran. Tatsächlich, er schmeckt. So kommt man eben angetütert zum ersten Termin, sei's drum. In den Tagen danach wird man in Frankfurt erkannt, in der U-Bahn, auf dem Römer oder der Buchmesse. Leute wollen sich mit der Preisträgerin fotografieren lassen. Was macht man da? Anfangs macht man vielleicht noch mit, dann eilt man eher mit tief in die Augen gezogener Mantelkapuze durch Menschenmassen. Den Kontostand verändert der Buchpreis auch. Zunächst ums Preisgeld, nicht schlecht. Aber einige Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste verändern vor allem die ein halbes Jahr später folgende Jahresabrechnung des Verlages. Hoppla, das geht? Mit dem Schreiben??? Erstaunlich.

Anfragen über Anfragen folgen auf den Preis. Interviews, Artikel, Anthologiebeiträge, Reisen. Ich kann nicht Nein sagen. Nehme mir vor, das zu lernen, wird aber nix. Ich habe mehr Kraft, als ich zu glauben gewagt hatte. Erstaunlich. Noch vor dem Buchpreis aber hatte ich einen neuen Roman begonnen ... Noch immer ist er nicht fertig. Ebenso erstaunlich. Was ist das? Die Hemmung nach dem Erfolg? Die Ablenkung? Das Abwarten? Geschehenlassen? Ich schwanke zuweilen zwischen Rätseln und Wegwischen. Das möchte ich gar nicht wissen. Aber eigentlich doch ... Ich schreibe unglaublich viel, aber nicht an diesem Buch. Vorträge. Reden. Gedichte. Dabei bin ich nicht wichtiger geworden mit diesem Preis, und der Preis ist nicht wichtig für meinen neuen Roman. Das brauche ich mir nicht zu sagen, davon bin ich überzeugt. Irgendwann kommt die nächste Seite.

Ursula Krechel
Preisträgerin 2012

Perfektes Wunder

Seit 1975 ist alle zwei Jahre, manchmal häufiger, ein Buch von mir erschienen. Gedichtbände, auch essayistische Bücher, aber schon 1981 ein Roman und wieder 1993, dazwischen ein Erzählband und 2001 wieder eine lange Erzählung, die andere Autoren vermutlich einen Roman genannt hätten. Mir hing der Ruf an: U. K. macht es sich und ihren Lesern nicht leicht. Nun, warum sollte ich das tun? Leicht machten es doch schon genug andere Autorinnen und Autoren - mit wechselhaften Ergebnissen und gewiss nicht immer erfolgreich.

Als 2012 mein Roman Landgericht mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, meine Shortlist-Konkurrenten alle männlich waren und meistens sehr viel jünger als ich, schien das Wunder perfekt. Ja, solche Geschichten liebt das Leben, und sie schreiben sich mit dicken Stricknadeln fort. Da recherchiert jemand zwanzig Jahre, wühlt und gräbt in Archiven, lässt nicht locker, und siehe da: Da ist das Werk. Ecce homo, geboren von einer Frau jenseits der Reproduktionsphase. Plötzlich scheint die Sonne, und niemand weiß genau, wo der Schalter ist, um sie wieder auszuknipsen. Den jungen Autoren, die mit den Hufen scharren und in den Schreibschulen fit um jeden Preis der Welt gemacht werden wollen, könnte es eine Lehre sein. Etwas geschieht, oder gar nichts geschieht, oder etwas geschieht sehr spät. Wenn ich als Kind krank war, spielte ich gerne mit einem Geduldspiel - farbige Buchstaben mussten hin- und hergeschoben werden, bis sich die sinnige Ordnung ergab: ohne Fleiß kein Preis. Eine Weisheit, die vom Leben häufig Lügen gestraft wird. Das ist die ironische Fassung einer Zustandsbeschreibung.

Die andere: Durch den Deutschen Buchpreis habe ich Menschen kennengelernt, von denen ich niemals gedacht hätte, dass sie "meine" Leser würden. Traumatherapeuten, Landgerichtsräte, Emigranten, Menschen, die die Zeit, über die ich schreibe, nur vom Hörensagen oder aus tradierten Klischees kennen, und viele Menschen aus den neuen Bundesländern, die bekannten, man habe ihnen nach der Wende die frühe Bundesrepublik als ein Musterland dargestellt. Mein Buch hätte ihnen die Augen geöffnet, dass es nicht so war.

Meine Kenntnis des Eisenbahnwesens hat sich enorm vergrößert, auch Flughäfen habe ich in vielen Varianten zu Tag- und Nachtzeiten besichtigt, und manche haben sich, wenn man den Lärm der Durchsagen ausblendete, als ganz passable Schreiborte erwiesen. Meine Ökonomie der Zeit ist nach dem Deutschen Buchpreis sehr viel komplizierter geworden. Ich muss täglich abwägen, ob ich dieses tue oder jenes lasse und Prioritäten setzen. Lesen, Reisen oder ungestört Schreiben, Reagieren oder Agieren sind Konfliktpunkte geworden. Dafür sind die Hotels, in denen ich übernachte, sehr viel besser geworden. (Zusammengetragen von: Mia Eidlhuber, DER STANDARD, 4.10.2014)