"Haiku - Ask the time" (13.000 Euro, exklusive Mwst.), ein von Anetta Mona Chisa und Lucia Tkácová modifizierter Blondinenwitz: via "Google translate" aus dem Englischen ins Japanische und wieder zurück übersetzt.

Foto: Christine König Galerie

Noch in den 1970ern war die Anzahl der Kunstmessen überschaubar: Köln, Basel und Brüssel waren für Interessierte und Sammler zeitgenössischer Kunst die anzusteuernden Stationen. 2005 lag die Zahl solcher Verkaufsveranstaltungen bei weltweit 68, heuer dürfte sie über der 220er-Marke liegen, wie Edward Winkleman, Galerist, Blogger und Buchautor aus New York jüngst bilanzierte. Der Boom scheint kein Ende zu haben, eine "natürliche" Bereinigung ist nicht in Sicht.

Zeitgenössische Kunst ist das weltweit am schnellsten wachsende Segment, allein in der Auktionsbranche stiegen die Umsätze (Tefaf-Report 2014) seit 2013 von 593 Millionen auf stattliche 4,9 Milliarden Euro. Vermehrt gelangen übrigens Kunstwerke zur Versteigerung, die weniger als fünf Jahre alt sind und vormals dem klassischen Galerienrepertoire bzw. Primärmarkt zuordenbar waren: Von 1000 Werken in der Saison 2003/2004 auf aktuell knapp 12.000 zum Gegenwert von etwa 300 Millionen Euro (Artprice).

Diese Performance der Sparte verdankt man sowohl superreichen Trophäenjägern als auch emsigen Sammlern, aber auch jener wachsenden Schar, die im Umfeld der Vielzahl an Kunstmessen vom interessierten Besucher zum Käufer avancierten. Hierzulande setzte diese Entwicklung mit deutlicher Verspätung ein. In den letzten zehn Jahren hat sich Wien gerade im Bereich Gegenwartskunst zu einem prosperierenden Marktplatz entwickelt. Dazu trugen neben der agilen heimischen Galeriefraktion und der hiesigen Auktionsbranche auch die Viennafair als in dieser Güte einziges Format im Alpenland und ihre wachsende Parallelszene bei.

Knapp 23.000 Besucher (plus 27 Prozent gegenüber 2012) verzeichnete man im vergangenen Jahr, ein vorläufiger Rekord, der nun übertroffen werden will. Mehr als 25.000 sei der angepeilte Wert, der fürs Erste eher Sponsoren beglückt. Denn die Käufer sind eine Minderheit, eine wachsende immerhin.

Die potenzielle Viennafair-Klientel, erzählt die künstlerische Leiterin Christina Steinbrecher-Pfandt, unterteile sich in vier Gruppen: lokale Sammler, in- wie ausländische Museumskuratoren sowie Besucher, die keine direkten Beziehungen zu Galerien pflegen, sondern dem breiten Angebot der Messe den Vorzug geben, um Kunstwerke zu erwerben. Und dazu gehört natürlich die allseits heftig umworbene Gruppe internationaler Sammler, die allenfalls über ein Programm nach Wien gelockt wird, das man in dieser Dichte und Vielfalt andernorts nicht kredenzt bekommt - etwa auch nicht bei der Frieze (15.-18. 10.) in London oder anderen bevorstehenden Messen.

350 solcher VIPs haben sich heuer registrieren lassen (60 Prozent West-, 25 Osteuropa, der Rest international) und kommen in den Genuss eines maßgeschneiderten Programms samt Übernachtung und obligatem Messebesuch.

Rückzug des Hauptsponsors

Der für diese Zielgruppe relevante Exotenbonus ist über die Fokussierung auf Zentral- und Osteuropa (CEE) definiert, ein Alleinstellungsmerkmal, das jedoch wesentlich von der Gunst des Hauptsponsors abhängt, der zwischen 20 und 50 Prozent der Standgebühren der CEE-Galerien (aktuell 41) übernimmt. Exakt diese Region bescherte der Erste Group heuer einen Rekordverlust in Milliardenhöhe und nährt im Umfeld der Viennafair Befürchtungen über einen möglichen Rückzug. Diese Partnerschaft würde jährlich verhandelt, mehr war Steinbrecher-Pfandt dazu nicht zu entlocken.

Ob diese Aussteller auch ohne Subventionen hier ihr temporäres Messequartier beziehen würden, ist fraglich. Für sie wie alle anderen Galerien (99 insgesamt) geht es um Kostendeckung, die wiederum Verkäufe bedingt. Für manche verlief der Auftakt (rund 6500 Vernissagegäste) besser als erwartet, andere hoffen auf das Wochenendgeschäft. Bei Michael Schultz (Berlin) lief es "mit Esprit": Arbeiten der Koreanerin Seo und des Amerikaners Damian Stamer (ab 6500 Euro) wechselten hier ebenso den Besitzer wie eine der kleinen Richter-Abstraktionen aus dem Jahr 1989 (950.000 Euro).

Mit einer Melange aus preiswerter junger Kunst, erschwinglichem Establishment und kostspieligen Trophäen befindet man sich auch in Wien auf der sicheren Seite. Überraschend günstig kalkuliert Lokal 30 (Warschau) etwa Werke des polnischen Shootingstars Ewa Juszkiewicz: von 1000 Euro für Collagen bis zu 8000 für in altmeisterlicher Manier gemalte Bildnisse. Bei Trapéz (Budapest) kann man Gemälde des seit 1974 in Berlin lebenden Konzeptkünstlers und mehrfachen Biennale-Venedig-Teilnehmers László Lakner schon für je 40.000 Euro von den Wänden pflücken. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD, 4.10.2014)