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Renzi (links) und Hollande (rechts) wollen Merkel in die Zange nehmen.

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So soll sich die Wirtschaft weltweit entwickeln.

Deutsche Werksferien beschäftigen derzeit viele Ökonomen. Sind vorübergehend geschlossene Fabriken der Grund für den überraschend hohen Produktionsausfall im Nachbarland von vier Prozent im August verantwortlich? Oder steuert die Volkswirtschaft und damit wohl ganz Europa in eine Rezession - die dritte innerhalb von sechs Jahren? Immerhin ist die deutsche Wirtschaft bereits im zweiten Quartal 2014 geschrumpft, ein weiterer Rückgang von Juli bis September würde die Kriterien einer Rezession erfüllen.

Angesichts hoher privater und öffentlicher Schulden und Rekordarbeitslosigkeit quer durch den Kontinent steigt die Nervosität. Am Mittwoch lädt Italiens Premierminister Matteo Renzi zu einem EU-Gipfel nach Mailand, das Thema: Wachstum.

Beileibe nicht zum ersten Mal stoßen dabei die fundamental unterschiedlichen Strömungen in Europa aufeinander. Während Renzi an der Seite von Frankreichs Präsident François Hollande und einigen Regierungschefs südlicher Provenienz Lockerungen bei den Defizitregeln fordert, um mit höheren Staatsausgaben das Wachstum anzukurbeln, steht Angela Merkel auf der Bremse.

Frankreich am Defizit-Pranger

Zugespitzt hat sich die Lage, seit Italien und Frankreich bekanntgegeben haben, dass sie ihre Budgetziele in den nächsten Jahren nicht einhalten werden. Während Rom wenigstens auf einen sinkenden Pfad der Neuverschuldung verweisen kann, verharrt die Quote laut neuen Pariser Plänen heuer und auch 2015 auf über vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das Verhältnis der Schulden zur Wirtschaftsleistung entwickelt sich kontinuierlich in Richtung 100 Prozent, anstatt sich dem Maastricht-Referenzwert von 60 Prozent zu nähern.

Neben dem erhöhten Spielraum beim Schuldenmachen sollen europäische Investitionen für die Kehrtwende sorgen, tönen Renzi und Hollande. Aus Berlin kommen äußerst verhaltene Reaktionen. Dass Merkel Zugeständnisse machen könnte, wird zwar von einigen Beobachtern nicht ausgeschlossen, allerdings dürfte die Kanzlerin einen hohen Preis dafür verlangen. Wie schon bei anderen großen Kräftemessen seit Ausbruch der Eurokrise wird deutsches Einlenken nur mit Strukturreformen zu erkaufen sein, meinen Diplomaten.

Kompromisslinien

Werden die aus deutscher Sicht richtigen Schritte gesetzt, um die Haushalte nachhaltig auf Stabilitätskurs zu bringen, könne auch die Frist zur Erreichung der Defizitziele um das eine oder andere Jahr (neuerlich) erstreckt werden. Ähnlich argumentierte kürzlich der frühere Währungskommissar Olli Rehn. Wenn einerseits Deutschland die Binnennachfrage ankurble, andererseits Italien und Frankreich ihre Pensionssysteme und Arbeitsmärkte reformierten, wäre das "ein großer Dienst" an der Eurozone.

Viele - wie beispielsweise Joseph Stiglitz - sind mit dem "ständigen Durchwursteln" der europäischen Politik unzufrieden. Geht es nach dem US-Starökonomen, sollte der Stabilitätspakt entsorgt und stattdessen ein umfassendes Investitionsprogramm auf europäischer Ebene aufgelegt werden. Schulden seien kein Problem, wenn damit Zukunftsinvestitionen finanziert würden, sagte Stiglitz am Rande des Jahrestreffens des Petrochemie-Verbands EPCA in Wien.

EZB "besser als nichts"

Nur durch das Einspringen der öffentlichen Hand könnten im Abschwung Jobs und somit Nachfrage geschaffen werden. Letztere sei durch Austeritätspolitik und Lohnkürzungen in den Krisenländern ständig gesunken, meint Stiglitz. Allerdings zeigen die neuesten Zahlen des Währungsfonds, dass Europas Krisenländer ihre Leistungsbilanzdefizite vollständig abgebaut haben und Spanien, Portugal und Irland deutlich stärker wachsen als die Eurozone insgesamt.

Dennoch fordert der Nobelpreisträger "mehr Fiskal- und weniger monetären Stimulus" und meint damit die Fokussierung der Politik auf die EZB. Deren Programm zum Ankauf von Kreditpapieren sei zwar "besser als nichts", könne aber die Wirtschaftspolitik nicht ersetzen. Ohne entschiedene Aktionen bleibe Europa "in miserabler Verfassung", so der Ökonom.

IWF revidiert nach unten

Druck kommt auch vom Internationalen Währungsfonds, der die Konjunkturprognose für die Eurozone für heuer von 1,1 auf 0,8 Prozent und für 2015 von 1,5 auf 1,3 Prozent zurückgenommen hat (siehe Grafik). Da sich auch das Wachstum in den Schwellenländern verlangsamt, musste die Einschätzung für die Weltwirtschaft neuerlich, auf plus 3,3 Prozent, korrigiert werden. Während das Wachstum lahmt, steigen die Risiken, etwa wegen der Überhitzung der Finanzmärkte und der Russland-Krise, so der IWF. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 8.10.2014)