Brüssel - Trotz scharfer Kritik an der Einschränkung von Grundrechten durch die Behörden und mangelnder Unabhängigkeit der Justiz will die Europäische Union die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aktivieren. Dies geht aus den sogenannten "Fortschrittsberichten" der Kandidatenländer hervor, die von Erweiterungskommissar Stefan Füle am Mittwoch in Brüssel präsentiert wurden. Die Kommission will gerade deswegen die Verhandlungskapitel Justiz und Grundrechte vorziehen bzw. eröffnen und andere zurückstellen. Es habe wenig Sinn weiterzumachen, wenn zuvor nicht diese Grundsatzfragen geklärt werden, argumentiert die Kommission.

Der Bericht zur Türkei enthält wenig Neues, was Übergriffe gegen Bürger betrifft. Die EU zeigt sich über umfassende Verbote von sozialen Medien ebenso besorgt wie über Beschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit. Die Regierung versuche, Kritiker einzuschüchtern, heißt es im Bericht.

Lob für Serbien, Montenegro

Positiv fällt das Urteil der Kommission zu Serbien und Montenegro aus. Die beiden Länder seien bei Reformen weitergekommen, es gebe auch eine Normalisierung in den Beziehungen zum Kosovo. Von beiden Ländern erwartet Brüssel, dass die Anstrengungen fortgesetzt werden. Allerdings gilt auch die Erklärung des neuen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, dass es bis 2019 keine weiteren EU-Beitritte geben wird. Für Füle ist es der letzte Erweiterungsbericht, sein Ressort übernimmt ab November der Österreicher Johannes Hahn.

Kritisch äußern sich die Kommissionsexperten zu Bosnien-Herzegowina, wo es an politischem Willen zur Integration mangele, ebenso im Kosovo. (tom, DER STANDARD, 9.10.2014)