Christine Kneschar.

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derStandard.at: Sie beforschen und beraten Menschen zu Themen wie "Ältere am Arbeitsplatz". Ihr derzeitiger Fokus liegt im Bereich "berufserfahrene Menschen ab 45". Warum das?

Kneschar: In letzter Zeit bin ich häufig Menschen – meist zwischen 45 und 55 Jahre alt – begegnet, die sagen: "So kann und will ich nicht mehr weiter arbeiten." Als Gründe nennen sie Stress, Überforderung, mangelnde Anerkennung, erlebte Sinnlosigkeit und fehlende berufliche Perspektiven. Sie liebäugeln mit Job-Wechsel, Arbeitszeitreduktion, einem Sabbatical oder Selbständigkeit. Angesichts des angespannten Arbeitsmarkts für Ältere sowie der Wirtschaftslage müssen solche Veränderungen aber gut überlegt sein.

derStandard.at: Wozu raten Sie?

Kneschar: Ich rate dazu die Möglichkeiten sorgfältig auszuloten: Besteht überhaupt die Möglichkeit eines Jobwechsels? Löst ein Sabbatical meine Probleme wirklich oder werden diese nachher (wie in vielen Fällen) noch heftiger erlebt? Welche finanziellen Ressourcen sind vorhanden? Sind die Voraussetzungen für eine Selbständigkeit wie überzeugende Geschäftsidee, Kapitalausstattung, Netzwerk, unternehmerische Fähigkeiten gegeben?
Wenn diese Möglichkeiten nicht in Frage kommen, sollte man sich überlegen, wie man die bestehende Situation verändern kann. In vielen Fällen ist es ja so, dass einerseits die Arbeitsbedingungen im Unternehmen nicht förderlich sind, andererseits aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Gestaltungsmöglichkeiten nicht nutzen – aus welchen Gründen auch immer.

derStandard.at: Was verändert sich nun, wenn man älter wird im Job?

Kneschar: Da komme ich zunächst zum Kern meiner Arbeit: Menschen müssen akzeptieren, dass sie in späteren Berufsjahren nicht auf dieselbe Weise arbeiten und leben können wie im jungen und mittleren Alter. Älterwerden ist mit körperlichen, geistigen und psychischen Veränderungen verbunden und dem muss ich mit einem angemessenen Lebens- und Arbeitsstil gerecht werden.

derStandard.at: Und das ist den Berufstätigen nicht bewusst genug?

Kneschar: Durchaus nicht. Viele Menschen pendeln zwischen Jugendwahn und Altersangst und der goldene Mittelweg ist oft, das eigene Altern zu verdrängen. Man versucht mit 55 so weiter zu leben wie mit 30. Das führt dann oft zu körperlichen und psychischen Beschwerden und den bekannten Erschöpfungszuständen.

derStandard.at: Was kann man tun? Können Sie Beispiele nennen?

Kneschar: Zum Beispiel braucht der Körper mit zunehmendem Alter längere Regenerationsphasen. Es ist notwendig eine "Beanspruchungs-Erholungs-Balance" herzustellen – sowohl im Berufs- als auch im Privatleben. Planung und Organisation, Vermeiden von Zeitfressern und Leerläufen, Kurzpausen und Entspannungsphasen fördern ein entsprechendes Gleichgewicht. Die Freizeitaktivitäten sollten einen Ausgleich zur beruflichen Tätigkeit schaffen, Freude bereiten, aber keinesfalls zusätzlichen Stress verursachen. Die liebste Freizeitbeschäftigung der Österreicher und Österreichischerinnen, das Fernsehen, was sie im Durchschnitt 2, 5 Stunden pro Tag tun, ist nicht dazu geeignet. Und ganz wesentlich ist es, ausreichend zu schlafen. Das klingt banal, aber nur wenige nehmen das wirklich ernst.

derStandard.at: Gibt's auch Tipps für eine langwährende geistige Agilität?

Kneschar: Geistig besteht die Gefahr, sich in Alltagsroutinen zu verlieren. Geistig flexibel hingegen hält, wenn man sich Neugierde bewahrt, immer wieder etwas Neues lernt und Außergewöhnliches ausprobiert. Regelmäßige Weiterbildung ist auch für berufserfahrene Menschen ein absolutes Muss. Es darf auch nicht vergessen werden, dass in dieser Lebensphase häufig einschneidende Veränderungen passieren, wie etwa der Auszug der Kinder oder eventuelle Pflegebedürftigkeit der Eltern oder Schwiegereltern. Das sind Umbrüche im Leben, die man nicht nur geschehen lassen darf, vielmehr soll eine Neuausrichtung gezielt gesteuert und geplant werden. Im besten Fall kommt es zu einem Neuarrangement der Werte und Ziele und einer neuen Organisation und Ausrichtung des Lebens.

derStandard.at: In Organisationen arbeiten meistens drei, oft auch schon vier Generationen unter einem Dach. Wo können die Jungen von den Älteren besonders profitieren?

Kneschar: Das Erfahrungswissen älterer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist in vielen Bereichen ein Gewinn. Sie erkennen Gesamtzusammenhänge, verfügen über ein hohes Maß an Urteils- und Entscheidungsfähigkeit, finden Lösungen für Probleme und zeichnen sich durch hohes Verantwortungsbewusstsein aus. Sie sind ausgeglichener und gelassener als viele Junge und ihre Arbeitsleistung ist konstant. Ihre sozialen Kompetenzen lassen sich gut im Kundenkontakt und im Team einsetzen. Und Ältere sind meist sehr loyal gegenüber dem Arbeitgeber. Es gibt nur wenige Berufsfelder, wo ältere nicht genauso gut oder sogar besser sind als jüngere. (red, derStandard.at, 9.10.2014)