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Mit dem Literaturnobelpreis 2014 ausgezeichnet: Patrick Modiano.

Foto: AP/Christophe Ena

Patrick Modiano befinde sich auf der Suche nach der verlorenen Zeit, meinten schon manche seiner Biografen in Anlehnung an das Werk von Marcel Proust. Das ist nicht ganz präzise: Der frischgebackene Literaturnobelpreisträger aus Frankreich befindet sich in seinem Romanwerk durchaus auf der Suche nach der verlorenen Zeit - allerdings vor allem der Zeit vor seiner Geburt.

Der französische Schriftsteller kam im Juli 1945 in Boulogne-Billancourt am Rande von Paris auf die Welt. Er verpasste damit den Zweiten Weltkrieg knapp. Was an sich ein Glück war: Mit seinen jüdischen Vorfahren wäre sein Leben nicht sicher gewesen. Daraus entstand aber auch der Rückwärtssog, der sich durch Modianos ganzes Werk zieht. Seine unstillbare Sehnsucht, die oft sarkastisch überspielte Nostalgie, auch Melancholie - sie erklären sich nahtlos aus seiner Biografie.

Modianos Vater verkaufte zu Beginn des Krieges Frauenschmuck und -strümpfe in Paris, bis er als Jude verhaftet wurde. Dank seiner indirekten Kontakte zu den deutschen Besatzern entging er aber seiner Deportation und erwirkte seine Freilassung, um sich in der Folge in der Pariser Unterwelt mit Schwarzhandel zu betätigen. Modianos Mutter arbeitete in Paris als Übersetzerin. Als Paris 1944 befreit war, ging aus der brüchigen Kriegsbekanntschaft Klein Patrick hervor. Er kam allerdings in die Obhut seiner Großeltern, da sich die Eltern bald trennten.

Im Urlaub in Biarritz am Atlantik ließ ihn seine Mutter endgültig zurück. Damit begann eine Odyssee durch diverse Heime, teilweise zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder. Als dieser 1957 an einer Krankheit starb, wurde Patrick brutal ins Erwachsensein gestoßen. Als er volljährig war, schickte ihn seine Mutter aus Geldnot zum Vater, doch der schlug ihm die Türe vor der Nase zu.

Die Geschichte hinter der Tür - das Schicksal seiner Eltern, seine Kindheit, aber auch das Schicksal Frankreichs in der Besatzungszeit, die Kollaboration und der Antisemitismus: All das musste sich Modiano selber erarbeiten. Sein Werk ist das Wiederauflebenlassen dieser übermächtigen Vergangenheit. Schon sein Erstling Place de l'Etoile spielt im besetzten Paris des Zweiten Weltkrieges. Die folgenden Romane sind Variationen dieses Themas, der gleichen Suche nach dem Verlorenen. "Ich bin ein Hund, der so tut, als habe er einen Stammbaum", fasste er das in seiner Autobiografie zusammen. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 10.10.2014)