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Durch die Abholzung tropischer Regenwälder in Brasilien geht offenbar deutlich mehr Kohlenstoff verloren als bislang angenommen wurde, da man bisher den Verlust der Biomasse an den Waldrändern und damit die höhere Emission von Kohlendioxid nicht berechnen konnte.

Foto: REUTERS/Nacho Doce

Leipzig - Offenbar hat man bisher den die Auswirkungen der Zerstörung des Regenwaldes auf den CO2-Haushalt unterschätzt: Wissenschafter des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) haben nun nachgewiesen, dass durch die Abholzung tropischer Regenwälder in Brasilien deutlich mehr Kohlenstoff verloren geht als bislang angenommen wurde. Ihren Berechnungen zufolge wird in Folge der Waldrodung bis zu ein Fünftel mehr Kohlendioxid durch die Vegetation emittiert.

Um die zusätzlichen Kohlenstoffemissionen an den Waldrändern abzuschätzen, entwickelten die UFZ-Wissenschafler einen neuen Ansatz, der die Ergebnisse aus verschiedenen Disziplinen und aus verschiedenen räumlichen Skalen integriert. Für ihre Untersuchungen modellierten sie zunächst, wie hoch der prozentuale Verlust von Kohlenstoff in Wäldern ist, in denen nach der Abholzung der Umgebung neue Randgebiete entstehen. Diese Verluste der unterschiedlich stark zerstückelten und verschieden großen Waldgebiete wurden im Vergleich zu großflächigen, unveränderten Wäldern im tropischen Regenwald in Amazonasgebiet und im brasilianischen Küstentropenwald Mata Atlântica ermittelt.

Als Randfläche definierten die Wissenschafter einen Streifen, der sich 100 Meter vom Waldrand ins Innere des Waldes zieht. Die Folgen, die die Rodung einer Waldfläche für die Bäume am neu entstandenen Waldrand mit sich bringen, sind bekannt. Die klimatischen Bedingungen ändern sich erheblich: Die Sonne strahlt stärker ein, die Temperaturen erhöhen sich und dem Wind bieten sich gute Angriffsmöglichkeiten. Deswegen steigt der Stress für die Bäume in Randlagen, vor allem große Exemplare sterben ab.

Je kleiner der Waldrest, umso größer der Kohlenstoffverlust

Um diese Effekte der Degradation zu berechnen, nutzten die UFZ-Wissenschafter das Waldsimulationsmodell FORMIND. Damit lässt sich der prozentuale Kohlenstoffverlust von Waldfragmenten unterschiedlichster Größe bestimmen. Demnach steigt der prozentuale Verlust an gespeicherter Biomasse an, je kleiner der noch verbleibende Waldrest ausfällt. Erst bei einer Waldfläche von zirka 10.000 Hektar geht der prozentuale Verlust in Abhängigkeit von der Form des Waldfragments auf nahezu null zurück.

Zudem analysierten die Forscher anhand von Satellitenbildern, wie der tropische Regenwald im Amazonasgebiet und der Küstentropenwald räumlich verteilt sind. Um möglichst viele kleine Waldareale zu berücksichtigen, arbeiteten sie mit einer sehr hohen Auflösung von bis zu zirka 30 Metern: "Das ist in der Wissenschaft die Grenze der Bearbeitung, da die Datenmengen für den Amazonas sehr groß sind", sagt UFZ-Wissenschafter Andreas Huth. Den Aufnahmen zufolge nimmt Küstentropenwald insgesamt mit elf Prozent seiner ursprünglichen Flächen nur noch 157.000 Quadratkilometer ein und ist in 245.173 Fragmente zersplittert.

90 Prozent der Waldreste sind kleiner als 100 Hektar, so dass sie sehr viele Ränder ausweisen. Insgesamt liegen 46 Prozent der Wälder im Mata Atlântica in diesen Randlagen. Das hat Folgen: Wegen des veränderten Mikroklimas an den Waldrändern gehen in zehn Jahren mehr als 68 Millionen Tonnen Kohlenstoff verloren. "Bezogen auf die geringe Gesamtfläche des Küstenwaldes ist das ein enormer Verlust", konstatiert Sandro Pütz, Hauptautor der Studie. Der 3,1 Millionen Quadratkilometer große brasilianische Teil des Regenwaldes im Amazonasgebiet besteht aus über 300.000 Waldfragmenten. Die Randgebiete machen aber nur etwa sieben Prozent der gesamten Fläche aus. Der zusätzliche Verlust an Kohlenstoff durch die Randeffekte beläuft sich damit im gesamten Regenwald des Amazonas auf zirka 600 Millionen Tonnen in zehn Jahren.

Vergessener Prozess

Die Wissenschafter berechneten zudem erstmals, wie stark sich dieser Randeffekt bei den tropischen Wäldern weltweit auf die Speicherung von Kohlenstoff auswirkt. Derzeit sind in der Atmosphäre 830 Gigatonnen Kohlenstoff verteilt. Jedes Jahr nimmt der Kohlenstoff um vier Gigatonnen zu. Ein Viertel davon wird durch der Rodung der Wälder rund um den Globus verursacht. Weil nach den Berechnungen zehn Prozent der Waldflächen in den Tropen weltweit an Waldrändern liegen, machen diese Degradationseffekte pro Jahr bis zu 0,2 Gigatonnen Kohlenstoff mehr aus, die zusätzlich in die Atmosphäre gelangen. Dieser Anteil kommt in den Kohlenstoffbilanzen bislang nicht vor. "Das ist ein vergessener Prozess im globalen Kohlenstoffkreislauf der Vegetation", bedauert Huth. Selbst in den Berichten des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) sei dieser Aspekt derzeit nicht direkt berücksichtigt. "Dabei sollte man diesen Effekt dringend berücksichtigen", fordert der Ökologe.

Interessant sind die Ergebnisse der Wissenschafter auch für praktische Aspekte in der Klimaschutzpolitik. Zum einen ist es sinnvoll, bei Rodungen Mindestgrößen für Waldinselflächen von rund 10.000 Hektar festzulegen, weil dann an den Rändern der relative Verlust von Kohlenstoff nur minimal ist. Zum anderen sollten künftig die Randgebiete und nicht das Innere von Wäldern forst- oder landwirtschaftlich genutzt werden, da dort der Verlust der Biomasse nicht zu sehr ins Gewicht fällt. Diese Untersuchung zeigt erstmals einen methodischen Weg, wie solche schwer abschätzbaren kleinräumigen ökologischen Effekte für großräumige Umweltfolgenabschätzungen genutzt werden können. Weitere Studien sind geplant. (red, derStandard.at, 19.10.2014)