Fünf Filmemacherinnen und Filmemacher wählten einen Godard: Pascale Ferran entschied sich für "Sauve qui peut (la vie)" von 1980.

Foto: viennale

Filmemacher als Philosoph: Jean-Luc Godard.

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Die Filmgeschichte, wie die Geschichte allgemein, kann man in zwei Bildern denken: als eine lange Kette mit vielen Gliedern oder als eine große Fläche mit vielen Schichten. Betrachtet man das Werk von Jean-Luc Godard in der ersteren Form, so findet man in der populärsten Datenbank 117 Glieder von dem Regisseur Godard, von Une femme coquette (1955) bis Brücken von Sarajewo (2014), davor wäre noch Adieu au langage 3D, den die Viennale dankenswerterweise im Gartenbaukino spielt.

Es ist unübersehbar, dass sich das andere Bild besser eignet: Godard als Maler in den medialen Ablagerungsformen der Gegenwart, ein Maler mit Begriffen, Tonspuren, Bildfetzen, ein Wortspieler jenseits des Bedeutungsdiktats.

Im Grunde war ja schon A bout de souffle, sein spektakulärer erster Langfilm, eine Übermalung, unter der ein US-B-Film durchschien. Die Viennale ergänzt nun also Adieu au langage 3D mit fünf weiteren Titeln: Cinq fois Godard, eine Anspielung auf die Fernsehserie Six fois deux (Sechs mal zwei) aus den 70er-Jahren. Fünf Aufträge auf das große Fresko Godard - oder fünf Abkratzungen, mit der Spachtel in die Tiefe dieser undurchdringlicher werdenden Sedimentierung.

An Allemagne Neuf Zéro kann man besonders deutlich sehen, wie seine Methode sich als Selbstreflexion einer historisch beeindruckbaren Vernunft zu erkennen gibt. Aus seiner diogenischen Distanz (der Schrat hinter der Zigarre in seinem "Fass" in der Schweiz) heraus zeigt Godard sich stärker empfänglich für die Veränderungen in der konkreten Geschichte, als man es eigentlich vermuten würde. Allerdings fällt es ihm schwer, Ereignisse als Faktizitäten zu akzeptieren. Dazu weiß er einfach zu viel, hat er zu viel im Kopf, als dass er die Öffnung einer Grenze, den Fall einer Mauer, als herausragendes Ereignis sehen könnte. Er sieht, bevor er noch hinter den "Eisernen Vorhang" blickt, zuerst einmal die seltsamen Topografien, die Murnau, der deutsche Exilant in Hollywood, in Sunrise entwarf. Und er erinnert sich daran, dass er selbst in Alphaville die Zivilisation schon wie von außen beobachtet hatte. Solche Motive gehen in Allemagne Neuf Zéro ein, und schaffen einen Text, der es an Dichte mit dem gordischen Knoten aufnimmt, den die Geschichte 1989 nur scheinbar durchschlug.

In dem halbstündigen Puissance de la parole (1988, das Jahr, in dem Harun Farocki nach Paris zu Georg K. Glaser fuhr) lässt sich Godards Methode der Rekombination und Überlagerung übersichtlicher beobachten als im oft hermetischen Spätwerk, das im Grunde in dem Moment begann, in dem Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg in A bout de souffle im Kino einen Western sahen, dessen Tonspur aus Gedichtmaterial von Apollinaire und Aragon stammte.

In vergleichbarer Weise werden hier ein Dialog von Poe und einer aus The Postman Always Rings Twice aufeinander bezogen, als jeweiliges Ergreifen des Wortes, wie das bei einem Telefongespräch ja auch ist, wo es manchmal schwierig ist, den richtigen Moment für das eigene Wort zu finden.

Godard kennt diese Skrupel nicht, weil er immer von selbst, aber nie für sich selbst das Wort ergreift. Die Sprache führt ihn nicht zu einem Sein oder zu einer Wahrheit, sondern zu den unendlichen Schichtungen, die einen erst empfindlich machen für die Erfahrung des Historischen (und niedriger lässt sich sein Werk nun einmal nicht "hängen") im Abendland nach dem Zweiten Weltkrieg: als eine Beobachtung des Unbeobachtbaren, als Sensorium für das, was hinter den Bildern liegt. Konkreter Schmerz, konkretes Glück, in deren Abstraktion sich gottgleich aufzulösen die Versuchung ist, der Godard sich faustisch widersetzt. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 17.10.2014)