"Leben - BRD", ein Schlüsselfilm aus dem Werk Harun Farockis, der die Krisenpräventionsmethoden einer Gesellschaft protokolliert.

Foto: Viennale

Der Filmemacher und Künstler Harun Farocki.

Foto: Chavakis

In den Siebzigerjahren arbeitete Harun Farocki an einem Film, für den er eigentlich kein Budget hatte. "Eigenproduktion aus den Mitteln aller Beteiligten", steht im Abspann von Zwischen zwei Kriegen zu lesen, dazu gibt es eine Andeutung, dass der Regisseur selbst während dieser Zeit Geld mit dem Schreiben von Trivialtexten verdiente. Einer der Beteiligten war der Filmkritiker Peter Nau, der sich als Foto- graf einbrachte. Sein Ziel war es, Aufnahmen "von der kleinsten alltäglichen Arbeit" zu machen.

Wie sind Arbeitsprozesse strukturiert? Das war eine der leitenden Fragen in Zwischen zwei Kriegen, mit dem Farocki nicht weniger als eine linke Sicht auf die Periode der deutschen Geschichte versuchte, die den Nationalsozialismus hervorbrachte. Das relevante Stichwort für diesen Analysefilm fällt bei Farocki nicht, und heute hat es die Bedeutung gewechselt:

In Zwischen zwei Kriegen geht es wesentlich um Rationalisierung, ganz im Einklang mit dem marxistischen Optimismus, die Geschichte und den Weltgeist auf der richtigen Seite zu haben. Frankreich verfügt über Erz, Deutschland über Kohle - man müsste also eine "Industrie auf halbem Weg" errichten. "Wir gründen einen Konzern, bei dem ein Rädchen in das andere greift", während dem Fabrikanten durch die Fabriksmauern, die Nau fotografierte, die "Sicht aufs gesellschaftliche Ganze" verstellt ist.

Zwischendurch wird ein weiteres aktivistisches Programm deklamiert: Man müsste "ein Netz von Spionen in die Ingenieurbüros" schicken. Dieser Satz bekommt einen starken Klang, wenn man an viele Filme denkt, die Farocki später gemacht hat. Nicht ohne Risiko zum Beispiel, den die Viennale auch für ihr kleines Programm in Gedenken an den vor wenigen Monaten überraschend Verstorbenen ausgewählt hat. Farocki als diskreter Beobachter in einem "Ingenieursbüro" des Kapitals, bei einer kleinen Venture-Capital-Firma, wo Investitionsentscheidungen mit der Sorgfalt getroffen werden, mit der ein Dreher sein Werkstück bearbeitet.

Oder mit der Georg Glaser auf Metall hämmert. 1988 fand Farocki den Autor des großen Buches Geheimnis und Gewalt in Paris, und er drehte dort mit ihm die mittellange Dokumentation Georg K. Glaser - Schriftsteller und Schmied. "Herr Glaser, woran arbeiten Sie da?" Mit seiner markanten Stimme eröffnet Farocki den Film, die Frage ist ebenso typisch wie die Idee mit der Spionage, und die geduldige Bearbeitung des Materials, die Glaser in seiner Pariser Werkstatt demonstriert, das Hämmern im Takt des Herzens, ist Sinnbild auch für die filmische Handarbeit, die Farocki in seiner langen Karriere hinweg durchgehalten hat.

Diese Konzentration dient auch hier einem revolutionären Motiv. Farocki und Glaser suchen nach "Vorboten der Aufstände", die Hoffnungen von 1968 (und 1918, müsste man hinzufügen) sind nicht begraben. Sie stehen aber für den Moment hinter der Verstehensaufgabe zurück: "Die Ereignisse haben vor unserem Verstehen einen Vorsprung." Müsste man einen gemeinsamen Nenner für Farockis Arbeiten suchen, dann bietet sich dieser Begriff des Verstehens auf jeden Fall an. Er hat ihn auch vor einer Übersprungspraxis bewahrt, wie nicht wenige 68er sie vorzogen.

Der Vergleich ist Grundbedingung für ein Verstehen, das sich von seinem zeitlichen Rückstand nicht unter Druck setzen lässt, sondern Farocki im Gegenteil zu einer Verlangsamung und allmählich auch immer mehr zu einer Inventur von Arbeitsschritten (die Ziegelproduktion in Zum Vergleich) und "Figuren" des Lebens führte (Der Geschmack des Lebens, Arbeiter verlassen die Fabrik). In Zwischen zwei Kriegen sprach er von der "Intelligenz der Verbindung der einzelnen Elemente".

Diese Verbindung, die immer für einen Verstehensschritt steht, stand für Farocki an der Stelle dessen, was im kommerziellen Kino die Logik einer Kontinuität verdeckt. Dort vergeht die Zeit wie von selber, bei Farocki und in dem Kino, für das er steht, vergeht sie produktiv. Das Insert, mit dem Zwischen zwei Kriegen endet, lässt sich so noch einmal anders lesen: Die "Eigenproduktion mit den Mitteln aller Beteiligten" geht immer noch weiter, auch wir sind an dieser Produktion beteiligt und bringen uns mit den Verstehensmitteln ein, die wir haben und die wir Farockis Werk entnehmen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 17.10.2014)