Linz - Die Steinzeit-Programmierung unseres Körpers kennt bei "Gefahr im Verzug" auch heute nur zwei Möglichkeiten: kämpfen oder flüchten. Ducken und aus sicherer Distanz lange wenig zu tun war offensichtlich auch die Taktik in der Schwertberger Gemeindestube. Am Donnerstag musste deshalb Marianne Gusenbauer-Jäger, seit 2009 Bürgermeisterin der Mühlviertler Gemeinde, im Landesgericht Linz auf der Anklagebank Platz nehmen.

Staatsanwältin Doris Fiala wirft der 58-jährigen SPÖ-Nationalratsabgeordneten Amtsmissbrauch vor. Die Bürgermeisterin soll als zuständige Baubehörde nicht reagiert haben, als grobe brandschutztechnische Mängel im Bezirksalten- und Pflegeheim festgestellt wurden. Konkret wird ihr vorgeworfen, dass sie weder die nötigen Sanierungsmaßnahmen anordnete noch die Anlage sperrte. Auch der Gemeinderat wurde nicht informiert.

Frühe Warnung, späte Lehren

Am 14. März 2012 legte ein externer Brandsachverständiger nach einem Rundgang im Altenheim einen besorgniserregenden Befund: Es sei "Gefahr im Verzug" und die Sicherheit der Bewohner nicht mehr gewährleistet.

Gusenbauer-Jäger reagiert, als oberste Baubehörde, mit einem Schreiben an die Errichterfirma. Man möge doch zu den Mängeln eine Stellungnahme abgeben. Dann passiert, laut Anklage, bis zum 30. 12. 2012 nichts. Bei einer erneuten Begehung zeigt sich der Sachverständige, laut Einvernahmeprotokoll, "überrascht, dass nichts geschehen ist" - und weist erneut darauf hin, dass es "im Brandfall zu einer Katastrophe kommen kann". Was aber im Gemeindeorgan immer noch nicht den "Kampf-Modus" auslöst. Erst am 28. 2. 2013 gibt Gusenbauer-Jäger per "Notverordnungsrecht" den Sanierungsbefehl.

Zeugen sagen aus, man habe die Ortschefin "immer wieder eindringlich gebeten, etwas zu unternehmen". Es ist einer der raren Momente im Prozess, in denen die bürgermeisterliche Erinnerung ohne Lücke ist: "In der Brisanz ist nix zu mir durchgedrungen. Aber es war ein Fehler, den Gemeinderat nicht zu informieren. Da war ich einfach zu blauäugig."

Ob sie denn überhaupt wisse, was "Gefahr im Verzug" bedeute, interessiert Richterin Petra Oberhuber. "Diese Phrase ist mir erst jetzt so richtig bewusst geworden." Der Prozess wurde vertagt. (Markus Rohrhofer, DER STANDARD, 17.10.2014)