Kochen im Duo mit dem smarten Tablet: Forscher haben ein System entwickelt, das auf Vorlieben, Erkrankungen und Unverträglichkeiten eingeht. Es kann die eingekauften Lebensmittel erfassen und wiegen - und liefert Menüvorschläge.

Foto: Diafit/FH Joanneum

Graz - Mit fortschreitendem Alter wird gesundes Essen für viele Menschen zu einer lustfreien Herausforderung. Übergewicht, Nahrungsmittelunverträglichkeiten und diverse Erkrankungen können die Menüplanung zum Spießrutenlauf durch vermintes Terrain machen. Besonders Senioren, bei denen mehrere Probleme zusammentreffen, sind damit oft überfordert. Wie Übergewicht ist unter den höheren Jahrgängen deshalb auch Mangelernährung weit verbreitet. Die Mahlzeiten enthalten oft nicht die ausreichende Menge an Kohlenhydraten, Eiweiß, Vitaminen und anderen Nährstoffen, die der Körper zum Gesundbleiben braucht.

Experten schätzen, dass in der Altersgruppe 60 plus etwa jeder Zwölfte unter chronischer Mangelernährung leidet. Wie die alternde Gesellschaft wieder mehr Lust und Leichtigkeit in die Ernährungsfrage bringen kann, will eine vom Infrastrukturministerium geförderte Innovation der FH Joanneum in Graz zeigen. Zwei Jahre lang haben Gesundheitsinformatiker vom E-Health-Institut mit Diätologinnen und Ergotherapeutinnen aus der FH sowie externen Partnern an einem intelligenten Küchenterminal gearbeitet, das Senioren gesundes Essen schmackhaft machen soll.

Zunächst werden die persönlichen Gesundheitsdaten des Users in das digitale Assistenzsystem namens Diafit eingespeist. Darauf aufbauend stellen die Diätologinnen einen maßgeschneiderten Diätplan zusammen, das System liefert schließlich Menüvorschläge, Rezepte und Empfehlungen. Über eine Minikamera können zudem die eingekauften Lebensmittel erfasst und mithilfe einer in die Arbeitsfläche integrierten Digitalwaage gewogen werden.

Diafit ermittelt, ob und in welcher Menge dieses Nahrungsmittel für den Benutzer zuträglich ist. "Weil das System weiß, an welchen Erkrankungen und Allergien der Nutzer leidet, ob er übergewichtig ist und welche Ernährungsvorlieben und -abneigungen er hat, kann es ganz individuelle Ernährungsempfehlungen machen", sagt Projektleiter Walter Scheitz. Die Verbindung zu einer Datenbank mit über 4000 Lebensmitteln, von denen jedes mit einer langen Liste verschiedener Ernährungswerte verbunden ist, garantiert eine umfassende Wissensbasis auf der Suche nach den optimalen Ernährungsvorschlägen.

Das Know-how im Feld der Bilderkennung wurde vom Forschungspartner Joanneum Research eingebracht, der das System auch um ein Bewegungsmonitoring erweitert hat. Über einen Schrittzähler kann das Bewegungsverhalten des Users erfasst werden - was sich auf den empfohlenen Kalorienbedarf und damit auf die Menü-, Trink- und Aktivitätsvorschläge auswirkt.

"Der nächste Schritt", sagt Scheitz, "ist ein maßgeschneidertes Sportprogramm für Senioren." Der große Unterschied zwischen Diafit und den üblichen Ernährungs- und Abspeck-Apps im Netz: "Unser System ist viel komplexer, weil es sich auf die individuellen Bedürfnisse jedes Nutzers einstellt", betont Philipp Neurohr, der für die technische Umsetzung verantwortlich zeichnet. Damit das Assistenzsystem nicht zum besserwisserischen digitalen Zeigefinger wird, hat ihm der Jungforscher auch eine Prise soziale Intelligenz verpasst: So weiß es etwa über die Leibspeisen seines Users Bescheid und ist clever genug, nicht immer wieder Speisen vorzuschlagen, die schon mehrmals abgelehnt wurden. Auch kann der Nutzer selbst Regeln festlegen.

Von der Küche aufs Handy

Platz findet das von Ergotherapeutinnen mitgeplante System in der kleinsten Kochnische: Mit dem robusten Touchscreen auf Augenhöhe zwischen Arbeitsplatte und oberer Küchenzeile fügt es sich nahtlos in den üblichen Bewegungsablauf beim Kochen ein.

Das hört sich alles sehr praktisch an, aber wie geht es den Senioren tatsächlich mit diesem Hightech-Ernährungsberater? "Unser Prototyp wurde von rund 20 Testpersonen zwischen 65 und 80 Jahren getestet", berichtet Walter Scheitz. "Beim Testkochen hat sich gezeigt, dass der Einsatz des Terminals zwar etwas gewöhnungsbedürftig ist, insgesamt aber einen hohen Spaßfaktor hat."

Da sich Smartphones und Tablets mittlerweile auch in der älteren Generation zunehmender Beliebtheit erfreuen, soll das System bald auf mobile Geräte übertragen werden. "Damit könnte das Assistenzsystem auch im Gasthaus oder im Supermarkt eingesetzt werden", sagt der Projektleiter. Nun liege der Ball bei den Unternehmen, um an der Weiterentwicklung und Markteinführung des Systems mitzuarbeiten. Können die Kosten gering gehalten werden, stehen die Chancen gut: Die Generation, die jetzt in die Jahre kommt, hat ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein und ist bereit, dafür einiges zu tun. (Doris Griesser, DER STANDARD, 22.10.2014)