Graz/Bern/Stuttgart - Der Spruch des Verfassungsgerichtshofes war klar und deutlich: Die steirischen Gemeindefusionen sind rechtlich in Ordnung. Keine Gemeinde habe "das Recht auf ungestörte Existenz". Während die Sache juristisch nun also geklärt ist, bleibt noch die grundsätzlich Frage offen: Was bringen Gemeindezusammenlegungen eigentlich?

Kaum Einsparungen

Können damit tatsächlich, wie in der Steiermark argumentiert, enorme Kosten eingespart werden? Der Schweizer Finanzwissenschafter an der Universität Freiburg, Reiner Eichenberger, laut Rangliste der "Neuen Zürcher Zeitung" die Nummer zwei der einflussreichsten Ökonomen der Schweiz, winkt ab: "Erfahrungen in der Schweiz haben gezeigt, dass durch Fusionen kaum nennenswerte Einsparungen generiert werden konnten. Es gibt halt kaum Größenvorteile. Gespart werden kann bei der Anzahl zumeist schlecht bezahlter Gemeindepolitiker, dafür braucht es dann eher mehr gutbezahlte Beamte."

Eichenberger, der einige Arbeiten zum Thema verfasste, gibt zu bedenken, dass Fusionen aus mehreren schwachen Gemeinden nicht automatisch zu einer neuen, starken Gemeinde führen. Oft brächten Fusionen einen übermäßigen Ausbau der Gemeindeleistungen. Dabei orientiere man sich immer am teuersten Beispiel, "also müssen die anderen nachziehen, was zusätzlich kostet", sagt Eichenberger im Gespräch mit dem STANDARD.

"Das sind Erfahrungswerte, wirklich fundierte wissenschaftliche Studien über die Langzeitauswirkungen von Fusionen gibt es leider nicht", bedauert Peter Bußjäger, Vorstand des Innsbrucker Institutes für Föderalismus.

Sinn und Irrtum

Auch das deutsche Bundesland Baden-Württemberg verfügt über langjährige Erfahrungen mit Gemeindezusammenlegungen - mit ähnlichem Resümee wie in der Schweiz. "Die Verwaltung der Kommunen wurde vereinfacht, eingespart wurde in der Regel nichts", sagt Karl Ulrich Templ, Vizedirektor der Landeszentrale für Politische Bildung in Baden-Württemberg. "Zu glauben, dass Gemeindefusionen automatisch eine Region nach vorne bringen, ist ein Irrtum", sagt Templ. Dazu bedürfe es - als wesentliche Voraussetzung - der Mitwirkung der Bevölkerung. Templ: "Sonst macht das alles keinen Sinn."

Generelle Großreformen, wo in Bausch und Bogen dutzende Gemeinden per Generalplan fusioniert werden, seien kontraproduktiv. Man müsse "von Fall zu Fall sensibel vorgehen". Ein absolutes "No-Go" seien Zwangsfusionierungen, unterstreichen Eichenberger, Templ wie auch Bußjäger, der den steirischen Politikern dringend rät, die Zwangsfusionen zu überdenken. "Ohne Mitentscheidungsrecht der Bevölkerung geht das nach hinten los", sagt Templ. Das zeige sich auch an Beispielen, wo sich die Gemeinden wieder getrennt haben, ergänzt der Sprecher des österreichischen Gemeindebundes, Daniel Kosak.

"Mit Zwang wird das nichts"

Johannes Pressl, Bürgermeister im niederösterreichischen Ardagger - eine Fusionsgemeinde aus ehemals vier Orten -, sieht wenig Licht für das Gelingen der steirischen Fusionspolitik: "Mit Zwang werden die das nicht packen, das wird nichts, wenn alle frustriert sind. Man muss auf das Selbstwertgefühl der Gemeinde Rücksicht nehmen."

Ardagger wurde 1971 fusioniert, stand vor der Trennung, ehe den Orten wieder "ihre Identität" zurückgegeben worden sei. Heute verfügt die 3500-Einwohner-Gemeinde wieder über vier Kindergärten, vier Volks- und Musikschulen und vier Dorferneuerungsvereine. Durch die zentrale Verwaltung und die engen Kooperationen mit Nachbargemeinden stehe Ardagger heute aber finanziell hochweiß da, sagt Pressl. (Walter Müller, DER STANDARD, 22.10.2014)