Ende letzten Jahres lief der jüngste Film der Coen-Brüder in den Kinos; Inside Llewyn Davis erzählte von einem Folkmusiker, der sich im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village in den Sechzigerjahren durchschlägt und wenig Erfolg mit seiner Karriere hat. Damals konnte man sich aus der gerade auf Deutsch erschienenen Autobiografie Dave Van Ronks, Der König von Greenwich Village, die den Film inspiriert hatte, aus erster Hand informieren, jetzt liefert der Dokumentarfilm Greenwich Village: Music That Defined a Generation eine vielstimmige audiovisuelle Ergänzung.

Mit jugendlichem Elan

Die Liste der Interviewpartner, die Filmemacherin Laura Archibald für ihr Debüt vor der Kamera versammelt hat, ist eindrucksvoll. Wer etwa Arlo Guthrie, Sohn der Folklegende Woody, noch als jugendlichen Helden aus Alice's Restaurant vor Augen hat, wird vielleicht einen kleinen Schock bekommen, wenn er ihn jetzt mit weißen Haaren sieht. Mittlerweile 67 Jahre alt, sprüht er aber noch vor Energie, genauso wie andere, die noch älter sind, darunter José Feliciano (69), Buffy Sainte-Marie (73), Judy Collins (75) oder Kris Kristofferson (78): Sie alle haben sich jugendlichen Elan bewahrt.

Einzig Bob Dylan, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist, und Joni Mitchell erlebt man ausschließlich in Archivaufnahmen. Diese zeigen neben bekannteren Künstlern auch solche, die heute eher vergessen sind, wie Fred Neil (Komponist von Everybody's Talkin') oder Ian und Sylvia Tyson. Auch Richie Havens (gestorben im April 2013) gehört zu den Gesprächspartnern und bringt noch einmal sein aus Woodstock bekanntes Freedom zu Gehör, ebenso der im Januar dieses Jahr 94-jährig verstorbene Pete Seeger.

Die Folkmusik, die sich in den 60ern im Greenwich Village entwickelte, war dabei mehr als ein musikalischer Stil. In ihr fand zunächst die Bürgerrechtsbewegung ihren musikalischen Ausdruck, später der Protest gegen den Vietnamkrieg, als "man mit 18 Jahren zwar für sein Land in den Krieg ziehen durfte, aber erst 21 werden musste, um wählen zu können", wie es hier einmal heißt.

Eindrucksvolles Filmmaterial zeigt die Konfrontation zwischen Polizisten und Demonstranten, als die Stadtverwaltung das sonntägliche Treffen von Folkmusikern am Washington Square verbieten ließ. Aber der Blick geht auch zurück, wenn er die Verfolgung von Andersdenkenden in den späten 40er- und 50er-Jahren durch das "Komitee zur Bekämpfung unamerikanischer Umtriebe" zeigt und daran erinnert, dass Pete Seeger bei Radio- und TV-Stationen auf der schwarzen Liste stand. Am Ende schlägt Greenwich Village den Bogen zur "Occupy Wall Street"-Bewegung: Was in den 60ern im Greenwich Village passierte, ist auch heute noch lebendig. (Frank Arnold, DER STANDARD, 23.10.2014)