Auf den Social Media Kanälen kursiert ein schönes Sujet. Christoph Leitl grinst auf einem Gruppenbild mit einem Victory-Zeichen in die Kamera, dazu der Slogan: "Einer muss immer der Kasperl sein." Der Humor kommt nicht von ungefähr. Denn entweder ist Leitl ein großer Verdrängungskünstler oder die größte Spaßkanone dieser Republik. Er beklagte nämlich, dass die heimische Bürokratie zum Monster geworden sei. Und er mahnt die Senkung der Lohnnebenkosten ein und wünscht sich, dass den Menschen mehr im Börserl bleibt. Originell, wenn man sich selbst seit 14 Jahren als Kammerpräsident am Börserl der Unternehmer vergreift.

Kurz zur Erinnerung: Die Kammerumlage II ist lohnabhängig und spülte der WKO 2012 stolze 301,2 Millionen Euro in die Kasse. Diese Umlage wird unabhängig vom Gewinn eingehoben. Besonders lustig ist zudem, dass sich die WKO als Interessenvertretung gegenüber dem Staat verkauft und sich beim Inkasso der Mitgliedsbeiträge eben dieses Staates bedient. Zur Senkung der Umlage und einer sparsamen Kammerfinanzierung konnte man sich dagegen bisher nicht durchringen.

Was hat sich unter Leitl etwa bei der Gewerbeordnung getan? Nichts. Wer den starren Kammerstrukturen nicht entspricht, muss mehrere Gewerbescheine lösen - und mehrfach zahlen. Österreich war neben Weißrussland das einzige Land, das den Beruf der freien Fotografen reglementierte. Und warum? Weil ein paar Porträtfotografen mit Auslagen aus den 70er-Jahren die Konkurrenz durch Pressefotografen fürchten und Unternehmer, die in den 70er-Jahren hängengeblieben sind, in der WKO eine starke Lobby haben. Man versteht sich sozusagen.

Leitl hat als WKO-Präsident bisher nur an kleinen Schrauben gedreht. Wir leisten uns mit einer Milliarde Euro Jahresbudget das teuerste und intransparenteste Wirtschaftskammersystem Europas. Die neun Länderkammern könnte man aus Gründen der politischen Belanglosigkeit augenblicklich einstampfen, nur konnte sich Leitl dazu nie durchringen. Verständlich. Neun geschützte Werkstätten sind eine fantastische Spielwiese bei der Versorgung politischer Weggefährten. Wo gibt es das heute noch? Eine risikolose Tätigkeit und bis vor kurzem Pensionen in der Höhe von 80 Prozent des Letztbezugs. Auf die längst überfällige Reform der Außenhandelsstellen warten wir bis heute. Österreich leistet sich im Ausland ein ineffizientes Parallelsystem mit 76 Außenhandelszentren (Jahresbudget von 70 Millionen Euro).

Leitls Meilensteine sucht man vergeblich, die Kammer verwaltet sich selbst. Am Ende der Leistungsbilanz stehen Angebote, die ideologisch zu Tode verhandelt wurden und zielsicher an den Bedürfnissen der Unternehmer vorbeiführen. Etwa: die Lohnnebenkostenförderung für den ersten Mitarbeiter im ersten Jahr. Der Haken: Der Mitarbeiter muss unter 30 Jahren und arbeitslos gemeldet sein. EPUs sind aber recht selten auf der Suche nach jugendlichen Langzeitarbeitslosen.

Woher nimmt Leitl also den Mut, der Regierung Tipps in puncto Reformarbeit zu geben? Er sitzt seit einem Jahrzehnt im ÖVP-Bundesparteivorstand und hat jedes Regierungsübereinkommen unterschrieben. Die WKÖ rühmt sich ob ihres guten Drahtes zur Politik und bewegt für die Unternehmer dieses Landes keinen Millimeter! Angesichts dieser Bilanz wäre betretenes Schweigen angesagt. Der Steuerexperte Gottfried Schellmann schlüsselt in einer demnächst herauskommenden Studie auf, dass die Kammern heute längst nicht mehr hauptsächlich die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, sondern wie Parteien und deren Vorfeldorganisationen agieren. Parteien dürften aber keine Pflichtbeiträge von Pflichtmitgliedern einheben lassen. Eine Klage gegen die Pflichtbeiträge ist in Vorbereitung.

Bevor Leitl von den schikanösen Bedingungen für Unternehmer spricht, sollte er sich den skandalösen Sonderrechten im eigenen Haus widmen. Die Kammern wurden von der rot-schwarzen Koalition ja nicht nur in den Verfassungsrang gehievt. Parallel zu diesem Sündenfall ließen sich die Sozialpartner Sonderrechte einräumen, die Österreich in puncto Transparenz an das Niveau Kasachstans heranführen. Der Rechnungshof darf die Kammern nur bezüglich Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit, nicht aber auf Zweckmäßigkeit prüfen. Genau dort liegt aber für Schellmann der Hund begraben, denn was konkret mit den Beiträgen geschieht, bleibt geheim.

Die Fraktionsförderung ist ebenfalls ein gut gehütetes Geheimnis. Die Politik wird über Zuschüsse an die wahlwerbenden Gruppen für die Kammermandate subventioniert. Der Wirtschaftsbund stellt die Mehrheit der Funktionäre und kassiert am meisten, laut Grüner Wirtschaft mehr als 10,9 Millionen Euro jährlich.

Doch wer freut sich neben dem Wirtschaftsbund noch über derart viel Schotter? Die Anzeigenabteilung heimischer Medien. Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, ist dabei auf ein interessantes Detail gestoßen: In den beiden Jahren vor einer WKO-Wahl werden die WKO-Werbekosten um rund 25 Prozent kräftig nach oben gefahren. Die Logik der WKO dabei: Wer möchte durch zu viel kritische Berichterstattung schon einen der besten Anzeigenkunden des Landes vergraulen?

Zudem sorgt ein absurd aufwendiges Wahlsystem dafür, dass man sich Konkurrenz vom Leibe hält. Alle fünf Jahre müssen die bereits im WK-Parlament vertretenen Fraktionen aufs Neue Tausende von Unterstützungserklärungen sammeln, um überhaupt antreten zu dürfen. Wiederum ein Heer von Kammermitarbeitern muss diese Anträge in Nacht- und Wochenenddiensten bewältigen. Diese Form der Beschäftigungstherapie wurde den Mitarbeitern zu viel. Was machte Oberreformer Christoph Leitl? Er verlängerte den Überprüfungszeitraum von einer auf zwei Wochen. So sieht der Bürokratieabbau à la Leitl aus. Aber jetzt ist wieder Ruhe im Karton und alle surren.

Denn, wenn man sich mit etwas in der Wirtschaftskammer wirklich auskennt, dann damit, wie man ein bürokratisches Monster schafft und es am Laufen hält. (Christina Aumayr-Hajek, DER STANDARD, 23.10.2014)