Die Situation, dass eine Germanistin mit der Berechtigung, Deutschprüfungen abzunehmen, für ihre Einbürgerung einen Deutschkurs absolvieren muss, als absurd zu bezeichnen, ist ein Euphemismus. Aber Realität - und kein Einzelfall. Ermöglicht wird das durch dehnbar auslegbare Paragrafen im Staatsbürgerschaftsgesetz, die Beamten einen großen Spielraum lassen.

Man kann durchaus argumentieren, dass ausreichende Deutschkenntnisse verlangt werden, bevor man Bürger oder Bürgerin dieses Landes wird. Nicht aus nationalistischen Gründen, sondern im Interesse der Neubürger. Die haben ohnehin mit genügend Vorurteilen der "autochthonen" Bevölkerung zu kämpfen, die Beherrschung einer der Amtssprachen Österreichs ermöglicht zumindest bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und im Alltag.

Selbst die schwammige Formulierung von Gesetzen könnte man vielleicht noch als Ausdruck österreichischer Realität sehen. Beamten haben so auch die Möglichkeit, auf Einzelfälle einzugehen. Ist auch bei der Polizei so: Wer unter dem Auge des Gesetzeshüters als Fußgänger bei Rot über die Kreuzung huscht, muss nicht automatisch die Geldbörse zücken, sondern kann auch mit einer Abmahnung davonkommen.

Im Falle von Migration drängt sich aber der Verdacht auf, dass das Gesetz sicherheitshalber zu Ungunsten der Betroffenen ausgelegt wird. Euphemistisch ausgedrückt. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 27.10.2014)