Wenn Fritz Kortner (im Bild mit Henny Porten) ausnahmsweise einen Liebhaber spielen darf, dann ist dies wie der Postbote in "Hintertreppe" (1921) ein verkrüppelter und geistig zurückgebliebener.

Foto: Viennale

Ponim ist ein Wort, das heute kaum jemand versteht. Es stammt aus dem Jiddischen und meint ein unschönes Gesicht. Eigentlich noch schlimmer: Der Begriff verbindet das Antlitz mit dem anderen Ende des Rumpfes. Meint also gewissermaßen - Pardon - nichts weniger als ein Arschgesicht. Mit solchen seine Äußerlichkeit betreffenden Vorhaltungen war der legendär gewordene Theater- und Filmschauspieler und Regisseur Fritz Kortner (1892-1970) lange Jahre konfrontiert. Dabei waren seine Züge eigentlich nur streng und ein wenig grob.

Am Beginn seiner beruflichen Laufbahn - 1915 drehte er die ersten Filme, nur etwa ein Viertel ist erhalten - waren die Moden offensichtlich andere. Manche seiner Förderer, wie etwa der Wiener Schauspiellehrer Ferdinand Gregori, gaben sich höflicher und sprachen von einer "ungefügen Gestalt". Somit war der als Fritz Kohn und Sohn eines jüdischen Juweliers in Wien-Brigittenau geborene Kortner vorwiegend auf Rabauken und Bösewichte, Intriganten und Schurken festgelegt.

Wie ein närrisches Tier

Zumindest im Filmbereich. Am Theater, dem er zeit seines Lebens doch Priorität gab - sehr pfiffig beschreibt er das in der Autobiografie Aller Tage Abend -, war der Variantenreichtum seiner Charaktere groß. In wichtigen Rollen vor allem am Berliner Staatstheater. Den Vogel schoss das Burgtheater ab, das ihn 1910 als Eleven ablehnte, ausgerechnet "aus Mangel an individuellem Reiz".

In den ersten fünfzehn Jahren seiner Stummfilmzeit entstanden nicht weniger als 70 Werke. Darunter das Alpenmelodram Der Sonnwendhof (1918), in dem er den vom Furor geleiteten Bauernsohn Mathias spielt, der aus verschmähter Liebe das Schmiedgebäude anzündet, flieht und zehn Jahre später ins Bergdorf zurückkehrt. Ein Mann, der Frauen von hinten überfällt wie ein närrisches Tier. Hier setzt Kortner sein diabolisches Augenbrauenhochziehen ein, mit dem er insbesondere am Beginn seiner noch expressiveren Darstellungsphase den vielen rasputinhaften Gestalten Glaubwürdigkeit verleiht.

Dazu gehört auch die Rolle des liebestollen Vaters in Die Brüder Karamasoff (1920), ein greiser Berserker, dem Kortner mit einem wild überwucherten Gesicht etwas arg Urwüchsiges und Unberechenbares gibt. Den Dostojewski-Stoff hat Kortner ein weiteres Mal aufgegriffen, dann als nicht weniger jähzorniger Sohn im Tonfilm Der Mörder Dimitri Karamasoff (1931), in dem sein kantiges Gesicht an jenes von Marlon Brando erinnert.

Kortners expressionistische Darstellungskunst war seiner Sozialisation im Stummfilmkino geschuldet, das am Beginn vornehmlich als abfotografiertes stummes Theater galt. Für seine ersten Kritiker im US-amerikanischen Exil (1937-47) ließ sich dies nur als "Fuchteln" und "komisch-karikaturistisch" ausmachen. Der Theaterschauspieler Kortner, der das Gestische aus der Sprache zog, die Bewegung aus dem unmittelbar gesprochenen Gedanken, musste im Stummfilm neue Methoden anwenden. Diese dabei entstandene Hyperaktivität sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kortner an einer tiefschürfenden realistischen Verankerung der Figuren gelegen war und diese auch erreichte.

Seine mimetische Intensität und die ihm zugeordneten brachialen Typen täuschen ein wenig darüber hinweg - so etwa als ein an die Mächtigkeit Helmut Qualtingers erinnernder Erpresser in Orlacs Hände (1925) oder als verstoßener Postbote in Hintertreppe (1921). Als Glanzleistung gilt die tiefschürfende Ergründung eines tragischen Gefühls als Dr. Schön in der Wedekind-Adaption Die Büchse der Pandora (1929).

Die Jahre im englischen, dann amerikanischen Exil betrachtet Fritz Kortner selbst als wenig relevant, da er sich auf scheinbare Kitschfilme sowie Nazi-Stoffe und -Darstellungen beschränkt sah und somit genau in der Blüte seiner Lebensjahre nicht frei entfalten konnte. Es entstanden dennoch bemerkenswerte Filme wie Abdul the Damned (1935) oder The Strange Death of Adolf Hitler (1943), das einzige in Hollywood verfilmte Drehbuch Kortners.

Eine der wenigen Filmregiearbeiten Kortners ist Der brave Sünder (1931), eine mit vielen kleinen subversiven Aktionen gespickte Komödie samt zukunftsweisenden Sätzen wie "Wo wir sind, ist Büro!". (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 28.10.2014)