Operation gelungen, Patient ..., nein, er - oder vielmehr sie, die Ukraine - lebt noch. Es geht ihr sogar den Umständen entsprechend gut. Zumindest haben die Wahlen den angeschlagenen Zustand des Landes nicht weiter verschlechtert.

Das war durchaus zu befürchten: Laut Umfragen im Vorfeld konnten nationalistische, populistische und radikale Kräfte mit einem Erstarken rechnen. Allen voran wurde der "Radikalen Partei" von Oleh Ljaschko ein weitaus besseres Abschneiden vorausgesagt, als ihr vorläufigen Hochrechnungen nach tatsächlich an Stimmen zufallen sind. Der schon sicher geglaubte zweite Platz löste sich ebenso in Luft auf wie Ljaschkos Versprechungen. Die Ukrainer haben sich als weniger anfällig für seine Losungen erwiesen, als befürchtet worden war.

Ebenfalls ein positives Signal ist das Scheitern des militanten "Rechten Sektors" und voraussichtlich auch der ultrarechten Swoboda-Partei. Zweitere dümpelt knapp unter der Fünf-Prozent-Marke. Gegenüber ihrem Wahlerfolg vor zwei Jahren noch unter Wiktor Janukowitsch ist das eine herbe Schlappe für die Nationalisten um Oleh Tjagnibok.

Das Wahlergebnis zeigt: Die teilweise begründeten Befürchtungen vor einem Rechtsruck der ukrainischen Gesellschaft haben sich nicht bewahrheitet. Das Gespenst des Faschismus, welches laut der Moskauer Führung schon wieder in Europa umgeht, kann wieder in die Mottenkiste gepackt werden. Tatsächlich hat das russische Außenministerium die Wahlen in der Ukraine "trotz einer harten und schmutzigen Wahlkampagne" anerkannt und sogar das sich abzeichnende Kräfteverhältnis als Chance zur Lösung der ukrainischen Probleme definiert.

Die Chance ist da, weil die Ukrainer das Regierungslager bestätigt haben. Für Präsident Petro Poroschenko mag das Ergebnis nicht so schokoladig aussehen wie bei der Präsidentenwahl im Mai - doch grundsätzliche, über persönliche Eitelkeit und Ambitionen (zugegeben: in der Ukraine eine durchaus ernst zu nehmende Angelegenheit, wie das Scheitern der Orangen Revolution zeigt) hinausgehende Differenzen hat er mit Premier Arsenij Jazenjuk nicht. Das Tandem, in der Vergangenheit ein eher für russische Verhältnisse geltender Begriff, kann weiter gemeinsam in die Pedale treten, um den gewaltigen Berg an Problemen zu überwinden.

Als gut ist ebenfalls der Erfolg des in der Ostukraine starken Oppositionsblocks zu werten, der dafür sorgen wird, dass die Kiewer Führung im Parlament nicht nur Druck von einer Seite bekommt.

Womit wir bei den Schattenseiten der Wahl sind: Größtes Manko ist die niedrige Wahlbeteiligung im Osten, wo sie zehn bis 20 Prozent unter dem Durchschnitt lag. Sie zeugt von der Erstarrung der ganzen Region, in der sich ein Großteil der Bevölkerung mit seinem Wahlboykott der neuen Kiewer Führung verweigert oder in stumpfer Lethargie verharrt.

Die Tendenz kommt nicht unerwartet - und manchem Politiker in Kiew vielleicht sogar ganz recht. Doch wenn die Ukraine auf Dauer als ein Staat bestehen soll, dann muss die neue Regierung die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Probleme der Menschen in der Ostukraine schnell angehen. Schnell lösen wird sie sie nicht können. Aber zumindest muss sie den Bürgern eine Perspektive aufzeigen, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. (André Ballin, DER STANDARD, 28.10.2014)