"Pits and Perverts" oder wie man Hassparolen wirkungslos macht: Demonstrationszug mit Faye Marsay (v. li. außen), George MacKay, Ben Schnetzer, Joseph Gilgun und Paddy Considine.

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Wien - Im Sommer 1984 halten Aktivisten in London eine Gay-Pride-Parade ab. Darunter ein verschworenes Grüppchen, das sich in der Metropole bereits selbstbewusst seinen Platz erkämpft hat - bei dessen konspirativen Zusammenkünften im Hinterzimmer einer Schwulenbuchhandlung wird aber nicht darauf vergessen, dass es noch viele politische Schlachten zu schlagen gilt.

In den Schlagzeilen in Thatcher-England sind nämlich die streikenden Bergarbeiter. Und Mark (Ben Schnetzer) schafft es, seine schwulen Freunde und die lesbische Steph davon zu überzeugen, dass Geldsammeln für die im Arbeitskampf Befindlichen und ihre Familien das politische Gebot der Stunde ist.

Allerdings will dieses Geld dann erst einmal niemand haben. (Und die Skeptiker in der Gruppe fühlen sich bestätigt.) Potenzielle Verstärkung sollte man aber nicht ablehnen, bloß weil man lieber Vorurteile pflegt - denn damit relativiert man eigentlich das Gewicht des eigenen Anliegens. Im walisischen Arbeiterort, der die Gruppe schließlich einlädt, sehen das anfangs nicht alle so. Manche lassen sich mit der Zeit davon überzeugen, ihre Vorurteile aufzugeben. Andere bleiben bei ihrer Ablehnung dieser Allianz, die sich am Ende über den verlorenen historischen Arbeitskampf hinaus als tragfähig erweist.

Pride von Stephen Beresford (Drehbuch) und Matthew Warchus (Regie) arbeitet einerseits auf der Basis der Arthouse-Film-Schablonentechnik. Dazu gehören manche Gags und Pointen, die sich bei Klischees bedienen, "Showstopper" wie Tanzeinlagen - überhaupt fast ununterbrochene, aber auch sehr eingängige Offmusik von den Smiths bis Bronski Beat oder Billy Bragg.

Andererseits hat Pride liebevoll und differenziert gezeichnete und ausgestattete Figuren. Die hervorstechende Besonderheit des Films sind seine Darsteller (und die Schauspielführung): Zwar sind neben Newcomern wie dem charismatischen Ben Schnetzer, dem aus einer britischen Schauspielerdynastie stammenden Freddie Fox oder der kecken Faye Marsay viele bekannte Gesichter besetzt. Aber das, was etwa Billy Nighy, Imelda Staunton oder Dominic West hier machen, wirkt ebenso frisch und neu.

"Shame, Shame, Shame"

Nighy etwa gibt im Tweed-Anzug den ergrauten walisischen Junggesellen, einen vorsichtigen Vermittler mit verborgenem Eigeninteresse. Sein Spiel ist physisch fein abgestimmt - schwerer Atem, fallende Mundwinkel markieren Alter und Gemütszustand seiner Figur. Auch Staunton spielt die hemdsärmelige örtliche Gewerkschaftsfunktionärin Hefina in Blümchenbluse und Strickjacke, ohne dabei wie ein verkleideter Star zu wirken.

Dominic West, sonst auf Machorollen abonniert (The Wire; 300), darf zu Shirley and Companys Smash-Hit Shame, Shame, Shame einen energetischen Disco-Tanz auf Bretterboden und Tischen hinlegen und so eine ganz neue Seite an sich performen. Und auch Paddy Considine hat sich die Rolle des geradlinigen, eine Spur ängstlichen Gewerkschafters Dai sehr glaubhaft anverwandelt.

Beim internationalen Filmfestival in Cannes wurde Pride im vergangenen Mai die "Queer Palm" verliehen. Der Film, eine rein britische Produktion, hat definitiv das Zeug zum Publikumshit. Nicht zuletzt, weil er es schafft, seine unbestreitbaren Feel-good-Qualitäten mit seiner kämpferischen Haltung zu verbinden. Wie Pop und Politik (im Discoschritt) zusammengeht, das kann man hier hören und sehen. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 30.10.2014)