Auf Neil Youngs T-Shirt steht "Earth" geschrieben. Sein neues Album "Storytone" ist voller Sorge um unseren Planeten. Das ist schön und gut, vom Album lässt sich das nicht behaupten.

Foto: Christian Fischer

Wien - Der Schriftsteller Michael Köhlmeier ist ein großer Bob-Dylan-Fan. Er ist von Dylan derart überzeugt, dass, wenn ihm ein neues Album des Meisters nicht gefällt, er den Fehler bei sich sucht, nicht bei Dylan. Das sei, sagt Köhlmeier, als würde man William Shakespeare nicht verstehen und ihm deshalb das Genie absprechen wollen. Das könne man doch nicht machen.

Wäre Köhlmeier ein ebenso großer Neil-Young-Verehrer, er hätte zurzeit zu grübeln, meine Herren. Denn Neil Young veröffentlicht am Freitag ein neues Album. Es heißt Storytone und ist eine Prüfung für die Gemeinde. Gut, es ist nicht die erste, denn stilistische Haken führten Young auf mehr als einem seiner fast 40 Studioalben in Gassen, an deren Ende ein Sack stand. Und selbst Storytone wird den einen oder anderen Young-Fundi erfreuen, das ist klar.

Für Storytone hat der demnächst 69 Jahre werdende Kanadier zehn neue Songs geschrieben. Einen davon konnte man auf seiner letzten Tour bereits hören. Who's Gonna Stand Up? ist ein Weltrettungsgospel, das er live mithilfe eines schwarzen Damenchors in wahrhaft erhebende Stimmungsgefilde übertragen hat.

Auf Storytone bemüht er dafür ein Streichorchester, erzielt aber nicht annähernd dieselbe Wirkung. Gezupft, getupft und gestrichen klingt das Lied, als wäre es für ein Walt-Disney-Märchen geschrieben worden, das im Advent ein wenig nachdenklich stimmen soll.

Diese Entscheidung mutet umso befremdlicher an, als Young einige andere neue Songs in Rhythm-'n'-Blues-Grundstimmung produzierte, da hätte es ein Gospel leichter gehabt als diese Streichwurstversion.

Das Grundthema des Albums ist die Sorge um unsere Erde. Die steht dem beliebtesten Althippie des Planeten gut an. Was ihn veranlasst, dieses gerechte Anliegen mit derlei Gesülze zu transportieren, muss unbeantwortet bleiben. Ist es am Ende bloß Nostalgie? Die würde die akute Anfälligkeit für derlei Hollywood-Streicher erklären, mit der er Lieder wie Glimmer bis an die Atemnot in den Kitschteich taucht.

Schmalz und Flöte

Anschließend zieht er sich den Anzug eines Concierge über und öffnet in Say Hello To Chicago eine Tür, hinter der statt Chicago-Blues nur billige Las-Vegas-Kasino-Beschallung ertönt. Säuselnder Barjazz, zu dem Young fremdkörperlich auf seiner E-Gitarre soliert, wie um von seinen fehlenden Crooner-Talenten abzulenken, was ihm nicht gelingt. Das Lied könnte der Tiefpunkt seiner Karriere sein. Auch das geflötete und schmalzig gestrichene Tumbleweed bietet keine Aussicht auf ein Licht am Ende des Tunnels, nicht einmal ein Zug kommt.

Gegen Ende spielt er noch zwei Lieder, die nach Resteverwertung von Harvest Moon klingen – das war ebenfalls ein Toleranztest damals, 1992. Aber die Liebe seiner Fans irritiert Storytone wahrscheinlich dennoch nicht. Manchmal muss man einfach auf die Zeit vertrauen, die löscht so manche Erinnerung. (Karl Fluch, DER STANDARD, 31.10.2014)