Wasser in seiner kraftvollen, raumgreifenden Variante: In Bill Violas Videoskulptur "Tempest (Study for the Raft)" reißt ein Hochdruckstrahl eine Gruppe Wartender um. Ein Kampf gegen eine Gewalt.

Foto: Bill Viola Studio

The Yes Men "B'EAU-PAL", 2009.

Foto: The Yes Men

Linz - "Wodka?", fragt ein Passant in London beim Blick auf die ihm angebotene Flasche. Nein, es sei Wasser, wird er aufgeklärt. Wasser aus Bhopal, Indien. Abgefüllt in hübsch etikettierte Flaschen mit Bügelverschluss wird das B'Eau Pal von jungen, flotten Hostessen in der Innenstadt Londons beworben. "Schauen Sie sich die Inhaltsstoffe an, und sagen Sie uns dann, ob Sie es probieren möchten", offeriert eine von ihnen höflich. Nach der Lektüre möchte allerdings keiner mehr probieren - auch die Jüngeren nicht.

Bei den Älteren klingelt es noch, wenn sie "Bhopal" hören. 1984 ereignete sich dort der schlimmste Chemieunfall der Geschichte: Eine Giftgaswolke tötete bei der Katastrophe 5000 Menschen, 20 Jahre danach zählte man aufgrund der 20.000 Tonnen zurückgelassenen toxischen Materials, das ins Grundwasser sickerte, weitere 15.000 Todesopfer. Geschätzte 120.000 Menschen vor Ort (andere Kalkulationen sprechen von bis zu 500.000) leiden bis heute an den Folgen; nach wie vor kommt es zu Fehlbildungen.

The Bhopal Medical Appeal

Die Aufklärungsaktion von 2009 - bei der sich freilich nicht wirklich giftstoffhaltiges Trinkwasser in den Flaschen befand - trägt die Handschrift der Kommunikationsguerilleros The Yes Men, einer US-amerikanischen Netzkunst- und Aktivistengruppe, deren Mitglieder sich etwa bei Konferenzen (2000-2002) als Sprecher der Welthandelsorganisation (WTO) ausgaben oder 2008 mit einer gefälschten New York Times-Ausgabe, die das Ende des Irakkriegs meldete, für Furore sorgten.

Reale Sprengkraft

In der Ausstellung Reines Wasser. Die kostbarste Ressource der Welt im Lentos gehört B'Eau Pal zu den unauffälligsten Arbeiten: Neben einem Dokumentationsvideo sind ein paar der hübschen, unschuldig aussehenden Wasserflaschen zu sehen. Kraftvoll ist vielmehr die Verweiskraft dieser Stellvertreter, denn sie erinnern an eine weitere Bhopal-Aktion:

2004 lud BBC World einen Vertreter von Dow Chemical (dem Eigentümer der verantwortlichen Unglücksfirma) zu einem Interview, geriet aber über eine Fake-Webseite an The Yes Men. Diese erklärten nun im Namen des Konzerns die Übernahme der Verantwortung, kündigten Entschädigungszahlungen in Höhe von zwölf Milliarden Dollar und die Dekontaminierung des Bodens an. Die Folgen waren nicht nur auf Nachrichtenebene bombastisch: Die Aktien fielen - vorübergehend - um über zwei Milliarden Dollar.

Die reale politisch-ökonomische Sprengkraft solch einer Arbeit kann keines der anderen Kunstwerke in Reines Wasser überbieten. Trotzdem gelingt es über verschiedene, auch poetische Zugänge, das Besondere der Ressource Wasser, eines zunehmend ökologisch wie auch wirtschaftlich unter Druck geratenen öffentlichen Guts, zu argumentieren. Ware oder Menschenrecht? Diese Frage diskutiert Ursula Biemann anhand der Situation in Ägypten.

Etwas Spirituelles haftet hingegen Johannes Vogls Arbeit Wasserträger ( 2004) an: Er schulterte zwei Kübel Rheinwasser und kippte sie nach langem Fußmarsch in die Donau: Er griff in die Ordnung der Dinge ein, so wie die Chaostheorie dem Flügelschlag eines Schmetterlings zuspricht, maßgebliche Änderungen auslösen zu können. Politische Symbolik erhält diese Handlung 2010 bei Francis Alÿs, der Wasser vom Schwarzen ins Rote Meer goss.

Wasser als Waffe

Eindringlich die Beispiele zur Waffe Wasser: Die Überflutung einer - von der Gruppe Superflex nachgebauten - Filiale von McDonald's (als Vertreter des Kommerzkapitalismus) ist sogar herrlich bösartig; trotzdem unterstützen sie nicht die auf die Kostbarkeit des Fluiden aufgebaute Stoßrichtung der Schau.

Die die Ästhetik bedienenden Wohlfühlbilder von Seen, Flüssen, Quellen (Kaucyilla Brooke, Clare Richardson, Werner Schroedl) erinnern an Wasser als Sehnsuchtsraum sowie Platz der Lebensqualität: Ein Kraftzentrum und Ort barocker Lebenslust wie in einer von Vivaldi untermalten Filmszene Kenneth Angers.

Diese Dramaturgie des Schönen, die die Wandelbarkeit des Faszinosums Wasser vor Augen führt, ist zwar zu ausführlich geraten, lässt aber am Wert des Bedrohten keinen Zweifel. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 31.10./1./2.11.2014)