Kobane 2014, dieser Begriff wird in die kurdische Geschichte eingehen, als große Prüfung, aber auch als große Chance für die Kurden. Endlich wieder hat der Begriff "die Kurden" eine Bedeutung, die über Nostalgie und Propaganda hinausgeht: Der "Islamische Staat" (IS) - in dem übrigens sehr wohl auch Kurden kämpfen - hat es möglich gemacht, dass lange zerstrittene kurdische Fraktionen nun in Kobane Seite an Seite stehen. Nur eine völlig illusionslose Betrachtung dieser Tatsache wird es den Kurden erlauben, daraus eine nachhaltige Versöhnung und Kooperation zu machen.

Die großen ideologischen Unterschiede zwischen dem sozialistischen Modell der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK von Abdullah Öcalan und dem konservativen der irakisch-kurdischen Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) von Massud Barzani, und ihren jeweiligen Ausläufern in anderen Ländern, lassen sich nicht beseitigen. Aber politische Moderne - die die Kurden für sich reklamieren - bedeutet, diese Realitäten zu akzeptieren. Vielleicht kommt es doch noch zur großen pankurdischen Konferenz, die 2013 dreimal geplant und dreimal verschoben wurde.

Zuerst muss jedoch das Abkommen von Dohuk, das am 23. Oktober geschlossen wurde, umgesetzt werden: Darin verpflichtet sich die PYD (Partei der Demokratischen Union), die syrisch-kurdische Schwesterpartei der PKK, mit den anderen syrisch-kurdischen Gruppen die Macht zu teilen. Die PYD hat 2013 eine kurdische Autonomieregierung in den syrischen kurdischen Gebieten ausgerufen, die alles andere als inklusiv war - und dazu führte, dass Barzani die kurdisch-kurdische Grenze dichtmachte.

Und nun kämpfen Peschmerga aus dem Nordirak in Kobane an der Seite der YPG-Milizen, des bewaffneten Arms der PYD. Unter internationalem Druck - und wohl doch auch in der Einsicht, dass die IS ein viel schlimmerer Nachbar ist als die syrische Kurdenautonomie - hat die Türkei die irakischen Kurden nach Syrien geschleust. Ihre militärische Bedeutung liegt in den Waffen, der Artillerie, die sie mitbringen. Ihre Anzahl ist zu gering, als dass sich die YPG sorgen müsste, die Peschmerga würden das Schlachtfeld dominieren und in Kobane eigene Ziele verfolgen.

Denn natürlich ist das Misstrauen nicht von einem zum anderen Tag ausgeräumt: Dass die Türkei sich wünscht, dass Barzanis Einfluss auf die syrischen Kurden wächst - auf Kosten des PKK-Einflusses -, liegt auf der Hand. Es ist zweifelhaft, ob die Türkei ohne Dohuk-Abkommen, das die KDP-nahen syrisch-kurdischen Fraktionen stärkt, dem Transfer der Peschmerga überhaupt zugestimmt hätte.

Barzani ist es gelungen, die Türkei davon zu überzeugen, dass die Kurdenautonomie im Irak nicht gefährlich ist. Aber er ist wiederum selbst auf einen guten Draht nach Ankara angewiesen: Sein Projekt der kurdischen Ölautonomie, das Bagdad so ärgert, funktioniert nur mit türkischer Kooperation. Die nordirakischen Kurden pumpen ihr Öl seit Mai 2014 über eine Pipeline in das türkische Terminal in Ceyhan, wo es auf Schiffe verladen wird. Auch für die Ausfuhr von Öl und Gas aus den im Juni von den Kurden besetzten - als die irakische Armee vor der IS floh - Gebieten um Kirkuk brauchen die irakischen Kurden Ankara.

Wie sie zur Türkei stehen: Das ist der Punkt, der die Kurden am allermeisten spaltet. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 3.11.2014)