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Mittlerweile herrscht bei ihren Konzerten Fotoverbot: 2009 posierte Lady Gaga im Hello-Kitty-Kostüm; zu sehen in einer Ausstellung zum rosa Kätzchen in Los Angeles.

foto: AP/Japanese American National Museum, Markus + Indrani

Wien – Lasst uns wieder einmal über Sex reden. Früher, das muss jetzt gut 20 Jahre her sein, war Sex noch eine große Sache. Megageile Angelegenheit, irgendwie auch ein wenig peinlich. Kondome nur im Automaten oder beim Apotheker ("Das sag ich deiner Mutter!"). Petting nach der Tanzschule. Videokassetten aus der Videothek aber aus den Regalen hinter dem Saubären-Vorhang (Die Frau an der Kassa verachtet uns!). "Playboy" der tollen Interviews und Reportagen wegen oder "ÖKM" für medizinische Details – und in der Mitte "Hustler". "Hustler" war der Kompromiss zwischen künstlerisch wertvoll und kompromittierend.

Sex war im Wesentlichen schwitzig. Man musste sich danach auch ein wenig katholisch schuldig fühlen, durfte aber im Gegensatz zur heutigen Generation junger Leute noch Haare unter der Gürtellinie tragen. Sex war definitiv etwas für die Stadt und ihre Anonymität. Anonym ist die Schwester von abnormal. Fakt ist, am Land gab es Sex so gut wie überhaupt nicht! Und wenn ja, führte er zur Scheidung.

Wenn man damals im Internetz Pornos schaute (jeder kennt solche Leute!), dann bekam man Wochen später eine nicht unwurschte Rechnung aus Togo oder Ulan-Bator, ausgestellt in Schilling und mit der Widmung "Die Knochenbrecher kommen". Es war also wirklich alles sehr, sehr schmuddelig und rotlichtstichig. Ja klar, das ist ein ungemütliches Thema für Leute über 40, aber hallo, wir müssen der Jugend heute eine Mahnung sein! Heute ist sämtlicher Sex als Thema so gut wie langweilig. "Hollywood" bedeutet nicht mehr nur Film, sondern auch fehlendes Schamhaar. Pornos werden in der großen Pause auf dem Handy geschaut.

Lady Gaga eröffnet Ende 2014 ihre Show beinahe schon als Grande Dame des trügerischen Friedens danach. Ihr pornografisches Kriegshandwerk lernte sie zwar noch bei Veteranin Madonna. Und auch Christina Aguilera und Britney Spears gehen mit ihren Beate-Uhse-Leistungsschauen der frühen Nullerjahre noch als Idole der 28-jährigen Lady Gaga durch.

Porno und Musical

Heutzutage lassen sich junge Leute aber schon wieder kaum noch mit Pornos hinter ihren iPads hervorlocken, außer es handelt sich um Selfies von SchulkollegInnen. Deshalb muss Gaga während ihrer nipplegatenden Show nicht nur mit altersgerechtem Stumpf-Pop auftrumpfen. Der ist zwischen Quietschente, Autodrom-Techno und Disney-Musical angesiedelt. Das eine Lied von ihr heißt "Pokerface". Es gibt aber auch "Telephone", aber da müsste man sich die Melodie merken.

Zum sensible Empfindungen zack-zack niederknüppelnden Stumpf-Pop, der seit der Regentschaft von Ciley Myrus über eine leider nicht mehr ganz ausverkaufte Stadthalle niedergeht, gesellen sich dementsprechend auch retrogardistische Anmutungen wie jedweder gesunden Pornografie Hohn sprechende Kuscheltiermotive aus dem Pferdeposter-Land.

Lady Gagas mehr als gelangweilte Begleitband wohnt zum Beispiel in einem aus Styropor nachgebauten Winterwunderland von Barbapapa. Barbapapa, der sich bekanntlich verändern kann, wie er will, dick oder dünn, kurz oder lang, ist womöglich auch so ein frühes transformativ zwischen den Geschlechtern flottierendes Vorbild Lady Gagas. Jedenfalls, Sex ist nicht alles, obwohl ordentlich gebumst wird. Das ist Postpornografie für 16-jährige Aussteigerinnen aus der Sexfilmbranche.

Ihre Begleitband braucht Lady Gaga übrigens, damit sie sich umziehen kann, was jedes Mal ein Gitarrensolo hervorruft. Die Musiker werden aber vor allem gerufen, damit sie sich während einer Zwischenansage über Vienna, Fuck you und irgendwas mit Lebe-deinen-Traum lallend auf sie stützen kann. Lady Gaga trägt dazu eine Perücke im Stil der Amy Winehouse. Der Rest ist nicht gespielt.

Zärtliche Tänzer sind kostümiert wie Figuren aus "Tron" oder "König der Löwen". "Die Geschichte der O" kommt auch vor. Lady Gaga wirft sich dazu in dominanten Outfits tapfer in die Schlacht. Dieser Krieg könnte ihr letzter sein. Die höchste Steigerungsform von Pornografie sind Frauen ohne Haut. Aber das Schweinskotelett-Kostüm hatten wir von ihr auch schon. Gegenüber Miley Cyrus steht sie heute leider auf verlorenem Posten. Früher war Sex irgendwie interessanter. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 4.11.2014)