In ihrem Gastkommentar im STANDARD ("Zu wenig Anteilnahme an der 'Volksgemeinschaft'", 31. Oktober) schreiben Herwig Frisch, Johannes Pflaum und Verena Kienast vom Tichy-Verein "Götterberge", ich hätte in Bezug auf die NSDAP-Vergangenheit des Wiener Bergsteigers, Geologen, Journalisten und Autors Herbert Tichy "schlampig recherchiert" ("Herbert Tichy: Die braunen Seiten des Bergpoeten", DER STANDARD vom 28. Oktober).

Ich weise diese aus der Luft gegriffene Behauptung vehement zurück. Jede Zeile meines Artikels ist belegbar durch Forschungsergebnisse des Wiener Historikers Hannes Stanik: In einem Schreiben vom 18. März 1940 des Mitgliedschaftsamtes der NSDAP an Erich Schulze, den Gauschatzmeister des Gaues Wien, wird festgehalten: "In Bearbeitung des mit Laufschreiben Nummer 6065 vorgelegten Erfassungsantrags des Parteigenossen Herbert Tichy teile ich mit, dass der Genannte laut den Eintragungen in der Reichskartei am 26. 11. 1932 unter der Mitglieds-Nummer 1 308 596 bei der Ortsgruppe Wien-Währing mit der Anschrift: Wien 18, Hockegasse 95 in die NSDAP aufgenommen wurde ..."

In der Folge ging es im Schriftverkehr der NSDAP mit Tichys Vater nach dem "Anschluss" von 1938 darum, ob es eine lückenlose Bezahlung der Mitgliedsbeiträge gab. Tichys Vater - ebenfalls in der NSDAP - verwies gegenüber Berliner Parteiführern darauf, dass sein Sohn bei seinem mehrmonatigen Aufenthalt in Alaska (1938) auch in den USA im Sinn der NSDAP "aufklärend" gewirkt habe. Dazu kommen Herbert Tichys fast 700 Zeitungsberichte aus Ostasien für gleichgeschaltete Medien im nationalsozialistischen Deutschland, in denen er bis 1945 seine Propaganda für Japans Faschisten und den deutschen Nationalsozialismus machte - gegen Australier, Briten und Amerikaner.

Die saubere wissenschaftliche und nüchterne Dokumentation Staniks als "spekulativ" diffamieren zu wollen - wie Frisch und seine Kollegen das in ihrem Brief zu versuchen scheinen -, das erfordert Mut zur Unklarheit und Esoterik. Wer Fakten nicht lesen will und sie offenbar auch nicht einordnen kann oder will, muss alles glauben.

Es gibt dazu nun auch eine aktuelle Stellungnahme von Hannes Stanik vom 5. November 2014: "In seinem Nachlass finden sich auch Publikationen von Herbert Tichy aus dieser Zeit, die seinen Antisemitismus dokumentieren. So macht er beispielsweise für den Weltkrieg und die Krisen Asiens das Judentum verantwortlich."

Stanik betont, dieses Material habe er zwar gesichtet, für seine bisherigen Studien über Tichys Rolle als Reporter von nationalsozialistischen Medien in Asien aber noch nicht verwendet: "Er stammte aus einer Familie in Wien, die den 'Anschluss' Österreichs an Deutschland befürwortete. Und auch das Umfeld stimmt ideologisch mit dem überein, was er für die Nationalsozialisten aus Asien berichtete. Er wurde von der NSDAP auch auf politische Verlässlichkeit geprüft, wie alle Korrespondenten solcher Medien und Vertreter des Regimes im Ausland."

Idealistische Blickwinkel unbeirrt beizubehalten - wie es der Wiener Tichy-Fan-Verein von Frisch und Kollegen offenbar tut - zählt zu den grundlegenden Freiheiten. Andererseits sollten die Verehrer akzeptieren, dass andere (einstige) Tichy-Fans (wie ich) zu anderen Erkenntnissen kommen. Frisch wirft mir auch vor, ich würde Tichys Werk nicht kennen. Ich habe nahezu alle seine Bücher in Besitz. Ich habe auch mehrfach über Tichy (immer positiv) publiziert, meine früheren Einschätzungen mittlerweile aber revidiert.

Für die große Alpinismus-Ausstellung Der Berg ruft! habe ich in Wien Tichys (vermutlich von ihm selbst politisch-historisch gesäuberten) Nachlass vor fast 15 Jahren aufgearbeitet und dokumentiert. Schon damals gab es für mich Fragezeichen, die Kollege Stanik später genau herausgearbeitet hat. Aus der Glaubensgemeinschaft der Tichy-Lobhudler habe ich mich schon vor Jahren ausgeklinkt.

Gerald Lehner ist Journalist und Autor in Salzburg. Er hat 1997 in den National Archives der USA die NSDAP- und SS-Mitgliedschaften von Heinrich Harrer erforscht und publiziert.


Exkulpierungsversuch

Was sollte der geneigte Tichy-Leser dessen Büchern gesellschaftspolitisch Relevantes entnehmen? Sowohl der "humanistische" Superman Herbert Tichy wie der noch aktivere NS-Protagonist Heinrich Harrer wussten ihre NS-Wegbereiterschaft nicht nur in ihren Büchern, sondern nach 1945 auch annähernd ein halbes Jahrhundert lang vorsätzlich zu verschweigen (Tichy starb 1987, Harrer 2006). Mit ihrem beredten Schweigen hintergingen Tichy wie Harrer die alpine ebenso wie die zivile Öffentlichkeit nicht nur Österreichs, sondern vielmehr der ganzen Kulturwelt.

Frisch, Pflaum und Kienast hingegen scheinen durch den Artikel Lehners ihre offensichtlich "heiligsten Güter", nämlich die der kritiklos unpolitischen Anbetung der obersten österreichischen Alpin- und Kulturikone, des Superman Tichy, in unqualifizierter Weise herabgewürdigt - wo sie doch den Gralsdom ihrer Anbetung zu Tichys ewigem Heil errichteten.

Dagegen müssen die alpinhistorischen Publikationen Lehners und des Autors dieser Replik, welcher die während der NS-Zeit triumphierend öffentlich getätigte Aussage Harrers, in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Grazer Synagoge angezündet zu haben, zu publizieren wagte, wohl jedem "wahren" österreichischen Patrioten so unerträglich wie unentschuldbar erscheinen.

Wie Harrer und Tichy sich dem Grauen des Zweiten Weltkriegs als Tibet-Vagabund beziehungsweise als Asienkorrespondent für NS-Zeitungen entzogen, muss einem pazifistischen Beobachter beinahe schon Bewunderung abnötigen - auch angesichts von 350.000 bis 400.000 deutschen NS-Deserteuren, denen in Österreich erst am 24. Oktober 2014 mit der Einweihung des Denkmals für die Deserteure und andere Opfer der NS-Justiz vor der Hofburg posthum minimale Gerechtigkeit widerfuhr.

Demgemäß trifft der vergebliche Exkulpierungsversuch von Frisch, Pflaum und Kienast - wenn auch ungewollt - den Nagel auf den Kopf: Denn Tichy konnte dem "Tausendjährigen Reich nichts abgewinnen; er entzog sich vielmehr dem totalitären Regime Nazi-Deutschlands, das einen verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg führte, auf elegant effektive Art und Weise durch seine Absetzung in den Fernen Osten ..."

Dass er sich ebendort für FPK sein kärgliches Brot als Journalist für deutsche Zeitungen, was eine Mitgliedschaft bei der Reichsschrifttumskammer und der NSDAP zwingend erforderte, verdienen musste, wird wohl nicht nur einen Tichy-Anbetungsverein zum Vergießen von Krokodilstränen bringen, sondern wohl auch die wenigen Überlebenden von sechs Millionen KZ-Häftlingen des Dritten Reichs, die ja ebenfalls mit maximal 800 Kilokalorien täglich ihr kärgliches Brot zu verspeisen hatten.

Während dem Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg im Kampf mit den Alliierten 55 Millionen Menschen zum Opfer fielen, die tatsächlich unter unvorstellbar brutalen Bedingungen lebten und starben, führte Tichy ein politisch so gut wie sorgenfreies Leben, indem er sich durch seine fernöstlichen "humanistischen Aktivitäten" der Eingliederung in das NS-Kriegssystem so systematisch wie vorsätzlich entzog.

Rainer Amstädter ist promovierter Zeithistoriker mit Forschungsschwerpunkt deutsche und österreichische Sportgeschichte, Alpinjournalist sowie Berg- und Skiführer.


Ein Antifaschist

Dem Kommentar von Frisch, Pflaum und Kienast zu Gerald Lehners Braune Seiten des Bergpoeten schließe ich mich vollinhaltlich an. Ich habe mich mit dem österreichischen Emigranten Dr. Kandl, der in Peking quasi konsularische Tätigkeiten wahrgenommen hat, mehrmals über Herbert Tichy unterhalten, und er hat sich über dessen antifaschistische Einstellung klar geäußert. In Gesprächen, welche ich selbst mit Herbert Tichy führen konnte, hat dieser ausschließlich ironische Bemerkungen über seine aus Broterwerbsgründen nötige Tätigkeit für deutsche Zeitschriften und Zeitungen gemacht.

Darüber hinaus habe ich im Nachlass Dr. Kandls eine Bestätigung des Verbands der österreichischen Residenten in Peiping gefunden, aus welcher klar hervorgeht, dass Herbert Tichy kein Naheverhältnis zum Nationalsozialismus gehabt hat. Ihm ein solches nachzusagen ist historisch inkorrekt und wird dem Humanisten Herbert Tichy in keiner Weise gerecht.

Gerd Kaminski ist Leiter des Österreichischen Instituts für China- und Südostasienforschung. (DER STANDARD, 6.11.2014)