Es hätte die Wende sein sollen, der Umschwung nach einer verpatzten ersten Halbzeit. Aber vielleicht war die Mission zum vornherein unmöglich. Wie soll man schon in einer knapp zweistündigen Fernsehshow eine öffentliche Meinung herumkriegen, die man zu 97 Prozent gegen sich hat? So viele Franzosen halten die Reformpolitik von François Hollande seit seiner Wahl im Mai 2012 in einer neuen RTL-Umfrage für "gescheitert". Noch ganze drei Prozent halten sie für einen Erfolg.

Diese nackte Zahl kam während der ganzen abendfüllenden Sendung zum Ausdruck. Wohl noch nie musste sich ein französischer Staatspräsident so harte, ja erniedrigende Fragen gefallen lassen. Ob er überhaupt "auf der Höhe seines Amtes" sei, ob sein Mandat nicht ein Albtraum werde, lauteten Publikumsfragen. Nicht einmal von seinem Privatleben mit Motorradeskapaden zur einen Geliebten und einem Rachebuch der anderen wurde Hollande verschont.

Der 60-jährige Sozialist war gut vorbereitet, hatte auf alles eine Antwort. Er skizzierte ein paar neue Maßnahmen unter anderem für ältere Arbeitslose, setzt aber sonst vor allem auf die Wirkung bereits angekündigter Reformen, so etwa ein Entlastungsprogramm für Unternehmen im Umfang von 40 Milliarden Euro oder den "Generationenvertrag", bei dem ältere Angestellte jüngere einarbeiten sollen. "Mit Verlaub, Herr Präsident", schnitt ihm der Gesprächsleiter der Sendung auf TF1 das Wort ab, "das funktioniert einfach nicht!" Hollande hatte 500 000 solcher Verträge versprochen, zur Halbzeit des Mandats sind aber gerade einmal deren 30 000 realisiert – für eine Viertelmilliarde Euro.

Hollande konterte mit zwei neuen Versprechen: Er werde 2015 keine neuen Steuern erheben, sondern sein Programm der "Vereinfachung" der französischen Verwaltung im Bürgerverkehr vorantreiben. Eine Jungunternehmerin entgegnete, zumindest im Jahr 2014 habe Hollande die Prozeduren und Formalitäten für ihren Kleinbetrieb noch verstärkt, und in den ersten zwei Amtsjahren habe er die Unternehmenssteuern erhöht. "Sie machen zwar kleine Schritte", urteilte sie, "aber machen Sie endlich einmal richtige Reformen!"

Am Freitag fielen die meisten politischen Reaktionen von links bis rechts außen vernichtend aus. Die konservative Zeitung Le Figaro titelte "encore raté" (auch das misslungen), das Boulevardblatt Le Parisien: "Man sieht nicht klarer."

Das waren Worte für einen zurechtgewiesenen Schuljungen, nicht für einen Staatspräsidenten. Bei Charles de Gaulle oder François Mitterrand hätten sich Franzosen gar nicht erst getraut, sich auf die gleiche Stufe wie der Wahlmonarch aus dem Elysée-Palast zu stellen. Hollande zog die Kritik mit seinen Ausreden und Entschuldigungen aber geradezu an.

Schuldbekenntnisse wollten die acht Millionen Fernsehzuschauer der Sendung aber eher hören, was der Präsident plant, um den 3,4 Millionen "chômeurs" – inoffiziell dürften es eher fünf Millionen sein - eine Perspektive zu bieten. Sie sahen einen Staatschef, der sich redlich bemüht und der einen schwierigen TV-Auftritt nicht scheut - der aber letztlich wie der Hamster in seinem Rad rennt, ohne vorwärtszukommen, weil er in seinen eigenen Zwängen gefangen ist. Der linke Flügel der Parti Socialiste – auf dessen Stimmen Hollande in der Nationalversammlung auch arithmetisch angewiesen ist – hintertreibt die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die EU-Kommission verbietet der französische Regierung umgekehrt, die Budgetzügel schleifen zu lassen, um die Konjunktur künstlich anzukurbeln.

Seinen Premierminister und seinen Wirtschaftsminister hat er schon ausgewechselt. Bleibt er selbst. Hollande machte in der Sendung klar, er wolle "Frankreich bis zum Ende reformieren", das heißt trotz der katastrophalen Umfrageresultate bis zu seinem Mandatsende 2017 im Amt ausharren. Die präsidiale Funktion, auf die die ganze Verfassung der Fünften Republik zugeschnitten ist, bietet ihm bis dahin einen gewissen Schutz. Ob Hollande aber zur Wiederwahl antreten will oder kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt schon gar nicht mehr fraglich – bei einer Zustimmungsquote von drei Prozent. (Stefan Brändle aus Paris, derStandard.at, 7.11.2014)