Ein Bub (Richie Andrusco) streunt zwei Tage lang im Vergnügungspark von Coney Island herum - im preisgekrönten Film "Der kleine Ausreißer" aus dem Jahr 1953.

Foto: Internationales Kinderfilmfestival

Wien - Was macht einen guten Kinderfilm aus? Spannend soll er sein, lustig und, besonders wenn es nach dem Erziehungspersonal geht, auch noch eine gute Moral vermitteln. Das sind gleich drei Wünsche auf einmal, beim Internationalen Kinderfilmfestival, das derzeit in Wien (und später mit leicht verändertem Programm in Linz und der Steiermark) stattfindet, will man aber noch mehr.

Kindern ab fünf Jahren soll die Sprache des Films, das Zusammenwirken von Ton, Bild und Montage vermittelt werden. Zu diesem Zweck gibt es nicht nur Begleitmaterial zur angeleiteten Rezeption, auch wurden die Filme mit dem Anspruch ausgewählt, von Blockbustern geprägte Sehgewohnheiten zu unterlaufen und so neue Blickwinkel zu eröffnen.

Gezeigt wird beispielsweise Der kleine Ausreißer von Ray Ashley, Morris Engel und Ruth Orkin. 1953 mit Laiendarstellern in Schwarz-Weiß gedreht und erst nachträglich mit einer Tonspur versehen, wurde die Low-Budget-Produktion in Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet und zu einer Inspiration für die Nouvelle Vague. Heute, 60 Jahre später, tritt der dokumentarische Charakter des Films, der von einem im Vergnügungspark von Coney Island herumstreunenden Buben (Richie Andrusco) erzählt, noch stärker hervor.

Ältere Kinder könnten hier leicht ungeduldig werden, Reizüberflutung und eine rasante Story findet man schließlich andernorts. Die Freude am Geschwindigkeitsrausch einer Karussellfahrt ist aber auch nach Jahrzehnten noch spürbar.

Mein Platz in der Welt

Der Klassiker läuft in der Retrospektive "Mein Platz in der Welt", in der auch Mister und Pete gut aufgehoben wäre. George Tillmans Drama spielt ebenfalls in Brooklyn, und auch hier müssen die jungen Helden ohne ihre Eltern bestehen. Im Zentrum des Geschehens steht Mister, ein drahtiger Dreizehnjähriger aus dem Sozialbau. Als seine durch Prostitution ihre Drogensucht finanzierende Mutter (Jennifer Hudson) festgenommen wird, versteckt er sich in seinem Zimmer. Mit dem schutzbedürftigen Nachbarsbuben Pete wird er sich daraufhin einen ganzen Sommer lang allein durchs Leben schlagen. Trotz der schweren Thematik - in den USA reichte es für ein R-Rating! - behält der von seinen großartigen Hauptdarstellern Skylan Brooks und Ethan Dizon getragene Film stets eine gewisse Leichtigkeit.

Eine starke Persönlichkeit ist auch die argentinische Schülerin Lila (Paula Hertzog) in Matías Lucchesis Naturkunde. Immer wieder bricht sie aus dem Internat aus, um ihren unbekannten Vater zu suchen, bis ihrer Lehrerin nichts übrigbleibt, als sich mit Lila gemeinsam auf die Suche zu machen. Eine in spröden Bildern eingefangene Reise, die wie ein Großteil der Festivalbeiträge in der Originalfassung mit deutscher Einsprache zu sehen ist. (Dorian Waller, DER STANDARD, 17.11.2014)