Leipzig - Ob eine Ratte zahm oder eher - wie es ihrer Natur entspricht - aggressiv auf den Kontakt mit Menschen reagiert, wird zum Teil durch ihr Erbgut bestimmt. Ein internationales Forscherteam konnte dafür nun erstmals den molekularen Beweis erbringen. Wie die Wissenschafter im Fachblatt "Genetics" berichten, wurden im Erbgut der Ratten verschiedene Orte identifiziert, die Aggressivität oder Zahmheit ausbilden.

"Es wurde schon lange angenommen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten und der Genetik gibt, aber jetzt konnte der molekulare Beweis für ein polygen-bedingtens Verhaltensmuster angetreten werden", sagt Torsten Schöneberg von der Uni Leipzig. Gemeinsam mit Kollegen vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie sowie Kooperationspartnern in Schweden, Großbritannien, Russland und den USA wurden für die Studie Ratten untersucht und Teile ihres Erbguts analysiert.

Russische Forschung in den 1970ern

"Wir konnten verschiedene Orte im Genom identifizieren, die mit dafür verantwortlich sind, wie stark Aggressivität oder Zahmheit ausgebildet sind", so Schöneberg. Dabei konnte auf Ergebnissen russischer Wissenschafter aufgebaut werden: Bereits in den 1970er Jahren beschäftigten sich russische Experten mit der Frage beschäftigt, wie etwa die Pelzwirtschaft in Sibirien optimiert werden könnte. "Die Kollegen haben sich gefragt, ob und wie zum Beispiel ein Silberfuchs domestiziert, also zum Haus- beziehungsweise Nutztier gemacht werden könnte", so Schöneberg.

Als Modellspezies wurden unter anderem wilde Ratten herangezogen. "Sie haben die Tiere bei Nowosibirsk gefangen und so gezüchtet, dass diese den Umgang mit der menschlichen Hand duldeten oder ablehnten", sagt Schöneberg. Über mehr als 70 Generationen hinweg seien so zwei Stämme gezüchtet worden, von denen einer gezähmt und der andere aggressiv war.

Wechselwirkungen noch ungeklärt

In der aktuellen Studie kartierten und analysierten die Forscher nun das Erbgut der Ratten beider sibirischer Stämme. Dann brachten sie deren Nachkommen durch Kreuzung auch in den jeweiligen anderen Stamm ein, so dass es möglich wurde, die Unterschiede in den Genomen der beiden Stämme mit Verhaltensunterschieden zu vergleichen. "Dabei wurden auch ganz konkrete Gene identifiziert, die wahrscheinlich dazu beitragen, wie stark sich Aggressivität oder Zahmheit durchsetzen."

Diese wurden an unterschiedlichen Stellen im Genom entdeckt, so dass zunächst noch die Frage offen bleibt, wie das Zusammenspiel der Gene das Verhalten der Tiere beeinflusst. "Durch die Arbeit ist nun zwar die Landkarte beschrieben, die genaue Wechselwirkungen der Genprodukte müssen jedoch in weiteren Untersuchungen noch geklärt werden", so der Biochemiker. Ein erweitertes Kontrollexperiment wäre nun, die jeweiligen "Aggressivitäts-" und "Zahmheits"-Gene auf andere Tiere zu übertragen - was jedoch derzeit technisch nur sehr schwer umsetzbar sei. (red, derStandard.at, 17.11.2014)