Wladimir Putin hat es leicht. In einem Interview mit der ARD gab der russische Präsident, ohne mit der Wimper zu zucken, zu, dass die Annexion der Krim mithilfe des russischen Militärs erzwungen wurde. Im Frühjahr hatte er diesen klaren Völkerrechtsbruch - das direkte Eingreifen in einem souveränen Land - bei der Volksabstimmung noch geleugnet. In Russland, wo er die wichtigsten Medien und die Opposition mit harter Hand kontrolliert, mag das kaum jemand kritisieren. Erstaunlich war an dem Interview nur, dass der ARD-Reporter Putin kaum widersprach; so wie der Präsident taxfrei die Behauptung aufstellen konnte, in der Ukraine gebe es "ethnische Säuberungen", das Land gehe Richtung "Neonazismus".

Würde sich ein Regierungschef eines EU-Landes so verhalten, er müsste am nächsten Tag um seinen Job kämpfen und wäre einem Trommelfeuer von Medienkritik ausgesetzt. Diese Differenz demokratischer Standards mag erklären, warum die Europäische Union sich so schwertut im Umgang mit Russland in der Ukraine-Krise.

Putins Vorstellungen von Wahrheit und Vertrauen sind fundamental anders - so wie die praktische Machtpolitik. Die Europäer setzten bisher eher halbherzig Sanktionen gegen Moskau ein. Sie sind ständig in Gefahr, sich wegen diverser Eigeninteressen zu zerstreiten. Nun wollen sie diese "Peitsche" mit dem "Zuckerbrot" eines "neuen Dialogs" mit Moskau ergänzen. Sehr überzeugend klingt es nicht. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 18.11.2014)