Als "liberal und fortschrittlich" wird der Entwurf zur Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes bejubelt. Sind das die Kriterien, nach denen ein Gesetz geprüft werden soll, das das Leben von Kindern und jungen Frauen tiefgreifend verändert?

Nein, hier brauchen wir andere Kriterien! Es geht darum, ob das Wohlergehen aller Beteiligten einer In-vitro-Fertilisation (IVF) gesichert ist. Dies ist nicht geschehen, denn der Entwurf blendet die Risiken, die künstliche Befruchtung für Frauen und Kinder mit sich bringen, und die Risiken der Eizellspende weitgehend aus. Ein klares Indiz dafür ist, dass es weiter keine Erfolgskontrolle geben soll, die über die Meldung der Geburten hinausgeht. Wie geht es Kindern, die nach einer IVF geboren werden, später? Welche kurz- und langfristigen Folgen haben Hormonstimulation und Punktion, die Frauen auf sich nehmen müssen, um Eizellen zu spenden?

Am 17. November war Welt-Frühgeborenen-Tag. Zu früh geboren zu werden ist mittlerweile Ursache Nummer eins für die Sterblichkeit von Kleinkindern. Hohes Mutteralter und IVF gelten neben Armut und Stress als wesentliche Risikofaktoren. Dennoch sollen laut Entwurf sogar 45-jährigen Frauen fremde Eizellen eingesetzt werden. Warum will der Gesetzgeber noch mehr Kindern die Belastung des Zu-früh-geboren-Werdens zumuten?

Hinter der Altersgrenze steckt keine vom Präventionsgedanken geleitete Gesundheitspolitik. Die Gefahren für Frauen und Kinder werden in Kauf genommen! Denn wenn Frauen bis 45 fremde Eizellen eingesetzt werden dürfen, dann erhöht dies den Kreis der Patientinnen.

Die Eizellspende ist ein fremdnütziger Eingriff, der einer jungen Frau schaden kann. Es ist erwiesen, dass kaum eine gut aufgeklärte Frau ohne Not die Prozedur einer Eizellspende auf sich nimmt. Der Entwurf sieht deshalb eine Aufwandsentschädigung vor. Ohne diese würden Frauen ebenfalls kaum "spenden".

Altruismus gibt es. Doch wie wird die Realität aussehen? Werden Schwestern oder Schwägerinnen von Kinderwunschpatientinnen immer freiwillig und ohne subtilen Druck spenden? Werden Kinderwunschpatientinnen aus Dankbarkeit überzählige Eizellen weitergeben? Sollen sie wie in England durch Kostenreduktion für die IVF dazu motiviert werden? Oder hofft man auf Frauen, die die Aufwandsentschädigung dringend brauchen können?

Auch Kinderärzte sind bereits alarmiert. Mit gutem Grund: "Für die Wunscherfüllung eines oder zweier Menschen wird der statistisch voraussagbare Schaden eines Dritten billigend in Kauf genommen", resümierte Klaus Vavrik, Präsident der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, 2013 in einer Rede zum Kindeswohl nach reproduktionstechnischen Maßnahmen. Die vielfältigen Risiken für Kinder hat er umfassend dargestellt und belegt. Es ist keine Kindeswohlprüfung für den Gesetzesentwurf vorgesehen.

Und Kinderrechte? Kaum mehr als ein Stiefkind. Zwar wird den Kindern aus Samen- oder Eizellspenden das Recht eingeräumt, ab 14 Jahren den Namen ihres genetischen Elternteils zu erfahren. Doch was hilft das, wenn sie die Umstände ihres Entstehens gar nicht erfahren? Einer Studie zufolge werden nur 8,6 Prozent der Kinder aus Samenspenden darüber informiert. Würden Kinderrechte ernst genommen, dann bräuchte es eine Verpflichtung zur Aufklärung.

Menschen brauchen ein Kontinuum in ihrer Biografie, um ihre Identität stabil entwickeln zu können. Aus der Adoptionsforschung ist bekannt, dass fehlendes Wissen über die Herkunft dies erschweren kann. In die Beratung vor IVF und Keimzellspenden wären daher auch unabhängige Psychologen miteinzubeziehen.

Warum sagt niemand jungen Menschen, dass ab 35 Jahren die Fruchtbarkeit bei Frauen rasch sinkt? Warum sorgen wir nicht dafür, dass Frauen in jungen Jahren Kinder bekommen können und wollen? Warum vermitteln wir nicht schon in der Schule, dass Fruchtbarkeit keine Last, sondern ein wertvolles Gut ist? Warum interessieren uns die Gründe für die zunehmenden Fruchtbarkeitsprobleme so wenig?

Der Entwurf zum Fortpflanzungsmedizingesetz ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt in reine Technikgläubigkeit. Ein ganzheitlicher Ansatz ist dringend einzumahnen. (Martina Kronthaler, DER STANDARD, 21.11.2014)