(Löffler, Oberst. Trakl, Medikamentenakzessist im Leutnantsrang.)

LÖFFLER (klappt ein schmales Buch zu und legt es neben sich): Nicht übel, Trakl, nicht übel. Sie haben Talent. Wie schön sich Bild an Bildchen reiht, das hat etwas. Und, ja, Sie haben recht: Herrlich schmecken junger Wein und Nüsse. Herrlich auch, gewiss, betrunken zu taumeln in dämmernden Wald. Dennoch ist mir das zu wenig. Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur - ich beobachte das nun schon seit Jahren - hat generell eine Neigung zum Rückzug ins Private, zur Flucht in die Idylle; sie zieht sich gerne auf die private Glückssuche zurück und lässt einen starken Hang erkennen, sich um die Kernfragen der Gegenwart zu drücken. In der fremdsprachigen, erst recht in der außereuropäischen Literatur liegen die Dinge völlig anders. Dort werden die brisantesten politischen, gesellschaftlichen und sozialen Themen der Gegenwart aufgegriffen und deren Auswirkungen auf das Individuum untersucht. Und genau das ist es, was Literatur leisten muss, Trakl, verstehen Sie? Ein beträchtliches Segment dieser Weltliteratur ist Kriegsliteratur. Autoren erzählen Geschichten über ihre Fronterfahrungen in den diversen Kriegen, und in diesen Kriegserlebnissen kristallisieren sich menschliche Grunderfahrungen wie Angst, Leid und Tod, auch Langeweile. Der Krieg wird aber auch zum Prüfstein für menschliches Verhalten - Mut, Feigheit, Loyalität, Freundschaft, Verrat. Und bei Ihnen, Trakl? Was lesen wir da davon? "Ein Wild verblutet sanft am Rain / und Raben plätschern in blutigen Gossen", das ist schon das Äußerste. Obwohl, wie gesagt, Talent haben Sie. Darum mein Rat: Tun Sie sich ein wenig um in der Weltliteratur, lesen Sie Die Farbe des Krieges oder Ein guter Ort zum Sterben oder Ein Tag wie ein Leben. Vom Krieg. "Krieg", sagt dieser Autor, "ist die stärkste Droge überhaupt." In seinen ersten beiden Büchern beschreibt er mit gnadenloser Detailbesessenheit, mit welcher Grausamkeit russische Rekruten im Ausbildungslager von ihren Vorgesetzten gequält und geschunden wurden. Die Hungerqualen und die Prügelorgien waren so furchtbar, dass die Rekruten den Fronteinsatz geradezu herbeisehnten. Als später wieder ein Krieg ausbrach, meldete er sich als Journalist sofort wieder an die Front. Am atemlos-nervösen Präsens seiner Kriegsreportagen und am Stakkato seiner hämmernden Hauptsätze merkt man, dass das Kriegsfieber ihn wieder gepackt hat. Seine Prosa verfällt sofort in den kaltschnäuzigen Ton des zynisch abgebrühten Kriegsveteranen, den nichts mehr erschüttern kann. Sofort hat er wieder den Leichengeruch in der Nase, sieht vom Granatfeuer zerfetzte Tote am Straßenrand und zögert nur kurz, ob er den verschmorten Leichnam eines Panzerfahrers fotografieren soll. Das, Trakl, ist Weltliteratur, verstehen Sie, und nicht ein Vogelzug, der auf der Reise grüßt. (Blickt aus dem Fenster.) Ah, schon Wien. (Steht auf. Zu Trakl, der aufgesprungen ist und salutiert:) Tja, wie gesagt, Talent ist da. Schreiben Sie unbedingt weiter! Aber beherzigen Sie auch meinen Rat! Morgen sind Sie in Galizien! In ein paar Tagen in Grodek! Grodek, Trakl! Ihre Chance!

(Vorhang)

Material: Sigrid Löffler: "Krieg!" - Die Presse, 8. 11. 2014 Georg Trakl: "Gedichte", 1913

(Antonio Fian, DER STANDARD, 29./30.11.2014)