Wien - So macht es der Bühnenprofi: Zu ihrer vierten Zugabe setzte Cecilia Bartoli noch mal eins drauf und rauschte in großer winterlicher Ausgehgarderobe auf die Bühne des Großen Saals. Bodenlanger weißer Mantel, weiße Pelzmütze und Muff: Schneewittchen de luxe. Noch ein letztes Feuerwerk der Koloraturen, eine letzte Achterbahnfahrt der Emotionen, und das Publikum verließ nach zweieinhalb Stunden von Seligkeit durchwärmt das Wiener Konzerthaus in Richtung winterliche Kälte.

Als eine Art "unique selling artist" des darbenden Klassik-Tonträgermarktes hat Cecilia Bartoli mehr als zehn Millionen CDs und DVDs verkauft. Als Bonustrack zu ihren Tongirlanden gibt es bei ihren Liveauftritten immer diese robuste Fröhlichkeit, diesen immerwährenden Elan noch mit dazu - ein Charakterfach, welches hierzulande Waltraud Haas, Vera Russwurm und Barbara Wussow bespielen.

Letzte Ausfahrt Wien

St. Petersburg heißt die neue CD, die Bartoli zusammen mit dem Ensemble I Barocchisti und Diego Fasolis auf einer Europatournee präsentiert und beworben hat, Wien war die letzte von 13 Städten, die der Mezzostar innerhalb eines Monats besungen hat.

Nach ihren Themen-CDs über Musiktheater auf der Indexliste (Opera proibita), Kastraten (Sacrificium) und den Komponisten Agostino Steffani (Mission) präsentiert die forschungsfreudige Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele, nunmehr verlängert bis 2021, der erstaunten Welt nun Juwelen der russischen Barockoper - die natürlich eigentlich italienisch war.

Aus den Sümpfen gestampft

Mitte des 18. Jahrhunderts blickte die Führungselite in Moskau und in dem gerade frisch aus den Sümpfen gestampften St. Petersburg noch freudvoll gen Westen, und unter Königen galt man als hoffnungslos barbarisch, wenn man sich kein eigenes Operntheater hielt. Also lotsten die Zarinnen Anna Iwanowna, Elisabeth Petrowna und Katharina die Große viele Italiener und einige Deutsche in das Venedig des Ostens: Francesco Araia, Vincenzo Manfredini oder Hermann Raupach. Werke der Letzteren hat Bartoli persönlich im Archiv des Mariinsky-Theaters ausgegraben, mit Erlaubnis Valery Gergievs.

Zu den Klängen dieser Komponisten trillerte die glänzend disponierte Bartoli im Terzabstand mit einer Oboe, duettierte hingebungsvoll mit einer Querflöte oder zwitscherte mit Vögeln, die über Lautsprecher eingespielt wurden, um die Wette. Das Ensemble I Barocchisti webte Klänge so zart wie Schleier: delikat, raffiniert, verführerisch, reich. Und Bandleader Diego Fasolis demonstrierte mit fantasievoller Zeichengebung, dass Beat und Swing schon vor zweieinhalb Jahrhunderten in waren. Ein Geschenk. (Stefan Ender, DER STANDARD, 1.12.2014)