Das Video des vermeintlichen Täters, der sich als unschuldig entpuppte, wurde massiv auf Facebook und in Boulevardmedien geteilt.

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Die heimtückische Attacke auf Hund "Bubi" führte zu einer Internet-Hetze.

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Was sich vor über zwei Wochen in der Wiener U-Bahn-Station Jägerstraße zugetragen hat, ist ohne Zweifel eine grausame Geschichte: Ein Unbekannter prügelt auf den Hund "Bubi" ein und verschwindet. Bubis Besitzerin Manuela B. muss den schwer verletzten Mischlingsrüden nach Hause tragen, wenig später erliegt das Tier seinen Verletzungen.

Die Tragödie wird vor allem von den Boulevardmedien "Österreich" und "Heute" groß gespielt, beinahe täglich gibt es Interviews mit der "Bubi"-Halterin. Als bekannt wird, dass keine Videoaufzeichnungen aus der U-Bahn-Station verfügbar sind, dreht sich das Narrativ: Plötzlich geht es darum, den Täter zu schnappen – die Hetzjagd im Internet beginnt.

"Gehört vogelfrei gesetzt"

Dabei wird die Grenze zwischen legitimem Hinweisgeben und dem Aufruf zu Selbstjustiz oftmals überschritten, da viele Nutzer sich für "Selbstjustiz" aussprechen. Das angedrohte Strafmaß von bis zu einem Jahr Haft für den Unbekannten erscheint vielen als zu gering, weshalb sie die Sache "selbst in die Hand" nehmen wollen. Tierschutzorganisationen schreiben ein "Kopfgeld" aus. "Ein Jahr? Geht's noch? Der gehört vogelfrei gesetzt und gejagt, bis er elendig zugrunde geht", so ein Nutzer auf der Facebook-Seite von "Österreich".

"Netter Besuch" angekündigt

Ein anderes Posting: "Wer ihn kennt, sollte gleich Namen und Adresse hier posten, dann bekommt er 'netten Besuch‘' von einigen." Hunderte Kommentare schlagen in eine ähnliche Kerbe. Die Gratiszeitung "Heute" titelt einen Artikel in der Kopfzeile mit dem Zitat "Hängt ihn auf", ohne diesen Aufruf zu verurteilen. "Bubi"-Besitzerin Manuela B. droht im Interview, dass die Polizei sie nicht aufhalten könne, wenn sie den Mann finde – er werde Schmerzen erleiden, die Bubis Leid schwach erscheinen ließen.

Unschuldiger im Visier

Gefährlich wird die Angelegenheit, als die "Bubi"-Besitzerin das Video eines Hundehalters veröffentlicht, das sie vor einigen Monaten gedreht hatte. Dort sieht man, wie ein Mann seinen Pitbull, der sich in einen Ast verbissen hat, auf und ab wippen lässt. Manuela B. ist sich "fast sicher", dass dies der Mann sei, "der 'Bubi' auf dem Gewissen hat". Boulevardmedien zeigen das Video, ohne an Konsequenzen zu denken; auf Facebook wird es von hunderten Nutzern verbreitet.

Meldet sich selbst

Zahlreiche Hinweise werden geteilt. Allerdings: Der Mann aus dem Video kann es nicht gewesen sein. Er meldet sich selbst bei "Österreich" und erklärt, dass er zum Tatzeitpunkt in der Arbeit gewesen sei. Auch bestreitet er vehement, seinen Pitbull gequält zu haben. Auf ihrer Facebook-Seite entschuldigt sich die "Bubi"-Halterin und verweist auf den nachvollziehbaren "Schock", unter dem sie noch stehe. Aber auch bei Nichtbeteiligten führt Tierquälerei oft zu einer Emotionalität, die nur durch wenige andere Vorfälle erreicht werden kann.

Polizei warnt vor Selbstjustiz

Die Wiener Polizei warnt daher im Gespräch mit derStandard.at vor Selbstjustiz. "Wir sind dankbar für jeden Hinweis", so Oberst Johann Golob, "die Devise lautet: Beobachten – Merken – Melden." Allerdings heiße es "Finger weg von Selbstjustiz", da solche "eigenmächtigen Handlungen" auch rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnten.

Internetphänomen

Dass die Hinweissuche im Netz eskalieren kann, wurde schon in der Vergangenheit demonstriert: So führte erst vergangenen September ein Video, das die Misshandlung von Katzen zeigt, zu einer Hetzjagd im Großraum Konstanz. Dabei wurden unschuldig Verdächtigte mit Drohanrufen bombardiert. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg appellierte gemeinsam mit dem Polizeipräsidium Konstanz mehrfach, keine "Hetzjagden" im Internet zu betreiben. Denn das könnte unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Kettenbriefe

Zusätzlich soll mittlerweile ein Kettenbrief auf Facebook kursieren, in dem Nutzer bedroht werden, als "Bubi-Mörder" bloßgestellt zu werden. Wer nicht möchte, dass sein Name genannt wird, soll einen Geldbetrag überweisen, ansonsten gehe die Person zur "Polizei" und werde die Daten des anderen veröffentlichen. Man sieht also, welche Effekte sich jene Betrüger von dieser Drohung erhoffen – den Grund dafür bereitet die aufgeheizte Stimmung im Netz auf. (fsc, derStandard.at, 2.12.2014)