Mein Vater hat mich geschlagen. Mit einem Schuhlöffel aus Metall, 45 Zentimeter lang, so lange wie sein Arm vom Handgelenk bis zur Achsel. Öfters als drei Mal war es bestimmt, die genaue Zahl weiß ich nicht mehr. Er hat mich übers Knie gebeugt und mehrmals mit dem Metall auf meinen Hintern eingedroschen. Die Schmerzen waren schlimm genug. Noch schlimmer jedoch war die Demütigung, aber nicht jene, geschlagen zu werden. Die wahre Erniedrigung bestand darin, dass mein Vater mich im Befehlston aufforderte, die Hände wegzunehmen, wenn ich versuchte, meinen Hintern vor seinen Schlägen zu schützen. Denn ich gehorchte seinem Befehl jedes Mal und machte mich somit zum Komplizen bei meiner eigenen Misshandlung.

Ich weiß nicht mehr, welcher Vergehen ich mich schuldig gemacht haben könnte, die eine solche Bestrafung gerechtfertigt hätten. Weder habe ich Mitschülerinnen vergewaltigt noch mit meiner Spielzeugpistole die Raiffeisenbank ausgeraubt. Ich habe keine Tiere gequält und keine alten Menschen vor Autos gestoßen.

An das letzte Mal, als mein Vater mich schlagen wollte, kann ich mich noch gut erinnern. Ich war bereits in der Mittelschule und mehr als zehn Jahre alt. Meine Mutter hatte mir gelegentlich über den Pharma-Versand, bei dem sie die Medikamente für die Hausapotheke (mein Vater war praktischer Arzt) bezog, Chemikalien bestellt, mit denen ich experimentierte.

Kleine Experimente

Eines meiner Experimente bestand darin, ein leeres Arzneimittelfläschchen zur Hälfte mit Kaliumpermanganat zu füllen, ein wenig Glycerin mit einer Pipette hineinzutropfen, das Fläschchen zu verschließen und aus dem Fenster in den Garten zu werfen. Die daraufhin einsetzende Oxidation erzeugte starke Hitze, und das Fläschchen zersprang mit einem dumpfen Knall. Dabei spritzte der Inhalt durch die Luft und an die beige Hausmauer unter meinem Zimmerfenster.

Als mein Vater die hellbraunen Flecken (es waren höchstens vier oder fünf, der größte kleiner als eine Walnuss und kaum dunkler) bemerkte, rastete er aus. Zuerst zog er mich an den Ohren in den Garten, um mir die Spuren meines Verbrechens zu zeigen, dann schleifte er mich zurück ins Haus, um mich der Schuhlöffel-Bastonade zu unterziehen. Zum ersten Mal schritt meine Mutter, die sich bis dahin niemals schützend vor ihre Kinder gestellt hatte, mit den Worten ein: "Du kannst ihn doch jetzt nicht mehr schlagen. Er ist doch schon so alt."

Versteckter Schuhlöffel

Wenig später war der Metallschuhlöffel wie vom Erdboden verschluckt und tauchte erst Jahre später wieder auf. Ich vermute, dass meine Mutter ihn versteckt hatte. Zugegeben hat sie das nie. Mir wäre lieber gewesen, sie hätte meinen Vater davon abgehalten, mich zu schlagen, meine Haare einzudrehen, bis es wehtat, mir Kopfnüsse zu verabreichen.

Vor einem Jahr fand bei uns zu Hause eine Diskussion statt, bei der ich kritisch auf meine Kindheit zu sprechen kam. Mein Vater meinte: "Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt." Als ich wütend die Geschichte mit dem Schuhlöffel thematisierte, zog er sich beleidigt zurück.

Im Telefonat mit meiner Mutter etwa eine Woche später sagte diese nicht: "Es tut mir leid, dass die Vergangenheit noch immer so schwer auf deiner Seele lastet." Nein. Sie erklärte mir: "Du hast den Vater sehr verletzt mit deiner Kritik." Die darauffolgende Auseinandersetzung via Briefe und E-Mails, in welchen ich meinen Eltern alles an den Kopf geworfen habe, was schon seit Jahren in meinem eigenen rumort, hat dazu geführt, dass mein Vater mich enterbt und gedroht hat, mich aus dem Elternhaus zu werfen, falls ich mich nicht für die unerhörte Frechheit bei ihm entschuldige, ihn kritisiert zu haben.

Ich habe mich nicht entschuldigt. Meine Eltern habe ich seit Anfang Dezember 2013 nicht mehr gesehen. (Georg Schildhammer, DER STANDARD, 3.12.2014)