Dirigent Nikolaus Harnoncourt wird 85 und zu diesem Anlass auch mit einer Reihe von CD-Neuerscheinungen geehrt.

Foto: Werner Kmetitsch / Styriarte

Wien - Ta-ta-ta, ta ... und dann: lange Pause. So steht es beim Duett "Bei Männern, welche Liebe fühlen" im Autograf der Zauberflöte. Meistens antworten den Streichern sanfte Bläserakkorde. Die hat Mozart zwar auch notiert, aber erst am Ende der ersten Strophe.

Für gewöhnlich erklingen sie als mutwilliger Zusatz auch zu Beginn, als dürfe das einfach nicht sein: Stille, wo die Musik gerade erst begonnen hat. René Jacobs hat das Problem so gelöst, dass Papageno seinen letzten Satz vor dieser Nummer in die Pause hineinspricht. Stille durfte auch hier nicht sein. Manche haben die Pause einfach abgekürzt - auch das ein Kompromiss, der die Irritation abmildert. In den Noten steht sie aber so und nicht anders.

Im Salzburger Festspielsommer 2012 durfte die Stelle in der Felsenreitschule so erklingen, wie sie geschrieben wurde. Und noch manch anderes war ungewohnt: etwa der piano gesungene Triumphchor, über den sich einige mokierten. Nur: Auch das hat Mozart genau so notiert.

Nikolaus Harnoncourt, einst umstrittener, inzwischen gefeierter Maestro (der dieses Wort ablehnt) polarisierte auch hier. Mit radikalen Tempoentscheidungen, Pausen und Zäsuren. Seine Zauberflöte, die inzwischen auf DVD erschienen ist (Sony), rüttelte auf, irritierte, wenn die wohlbekannten Melodien plötzlich eine Dehnung auf einem bestimmten Wort erhielten, das man sonst vielleicht noch nie so richtig bemerkt hatte.

Die Methode ist bekannt, diesmal wandte sie der Dirigent auf besonders extreme Weise an, verstörend und faszinierend. Mit seinem 1953 gegründeten Concentus Musicus Wien machte er dabei nicht nur die Feuer- und Wasserprobe zum Balanceakt, sondern die gesamte Oper. Es drängt ihn während der Aufführung unvermindert, vielleicht mehr denn je, an die Grenzen des Möglichen.

Perfektion war ohnehin nie sein Ziel, sondern "Musikalität, Feingefühl, Würde gegenüber den Noten, was technisch immer kleinere Unvollkommenheiten erzwingt." Schönheit sei die Verweigerung von Gewohnheit und nur unter Gefährdung möglich, schrieb ein anderer großer Musiker, Helmut Lachenmann. Harnoncourt ist solchen Gedanken recht nah. Das zeigt sich auch bei neu erschienenen Konzertmitschnitten aus den Jahren 2012/13, wenn der Concentus zum einen Händels Timotheus in Mozarts Bearbeitung, zum anderen die Haffner-Symphonie und die Posthornserenade sowie die letzten drei Symphonien von Wolfgang Amadeus musiziert (alle: Sony).

Die Trias der späten Es-Dur-, g-Moll- und C-Dur-Symphonie (Jupiter) sieht der Dirigent als Einheit an, wobei die Bezeichnung "Mozarts Instrumental-Oratorium" absichtsvoll hoch greift. Das ist wohl schon ein wenig überzogen und jedenfalls subjektiv, so ähnlich wie die wilden Metaphern, die Harnoncourt bei Proben und den einführenden Worten zu seinen Konzerten produziert.

Auseinanderdriftendes

Aber immer erschließt das Gesagte etwas, das in der Musik selbst steckt. So werden Zusammenhänge wahrnehmbar, auch Auseinanderdriftendes, etwa zu Beginn der Jupiter-Symphonie, wo die Zäsur zwischen dem aufbrausenden ersten Motiv und dem beruhigenden zweiten Gedanken diesen Gegensatz jäh hervorkehrt. "Das zerfällt ja fast", könnte man sagen. Genau darum geht es.

Wenn Mozart in den aktuellen Neuerscheinungen eine besondere Rolle spielt, spiegelt das womöglich eine in den letzten Jahren noch tiefere Beziehung Harnoncourts zu ihm wider. Interesse verdienen jedoch auch zwei CD-Boxen, die ihn von anderen Seiten zeigen: eine mit Musik von Johann Strauss, darunter Die Fledermaus, Der Zigeunerbaron und das Neujahrskonzert von 2001 (sieben CDs) sowie eine mit dem bahnbrechenden Monteverdi-Zyklus aus den Sechziger- und Siebzigerjahren (neun CDs, beide Boxen: Warner). Überraschungen sind auch beim Wiederhören garantiert. (Daniel Ender, DER STANDARD, 4.12.2014)