Jerry Lee Lewis: Rock & Roll Time (Vanguard)

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Ein Blick genügt, um sicher zu sein. Jerry Lee Lewis ist immer noch der wildeste Hund, der je in Memphis sein Bein gehoben hat, um auf die Pedale eines Klaviers zu treten. Auf dem Cover seines neuen Albums Rock & Roll Time steht er vor dem Sun Studio. Dort, wo er, Elvis, Roy, Johnny, Carl und andere sich zusammengefunden haben, um die Message des Rock 'n' Roll zu formulieren und sie in alle Welt zu senden.

Es ist Nacht in Memphis, und Jerry Lee steht in Plastikschlapfen vor dieser Gedenkstätte. Rock 'n' Roll! Gegen ihn war Elvis ein Chorknabe. Jerry Lee war ganz oben und ist tief gefallen. Man heiratet aber nicht seine Cousine, erst recht nicht, wenn sie erst 13 ist. In der Person des heute 79-Jährigen konzentriert sich jenes unvergleichliche Gemisch, das Rock 'n' Roll möglich gemacht hat. Der Blues, Country, religiöser Irrsinn, Testosteron, Starrköpfigkeit und, nicht zuletzt, ein außergewöhnliches Talent: sein Klavierspiel.

Große Kugeln O Das ist heute noch so mitreißend wie damals, als er den Flügel im Eifer in Brand setzte, nachdem er daraus Songs wie Whole Lot of Shakin' Goin' On, Great Balls of Fire oder High School Confidential gezaubert hatte. Dann kam der Absturz, religiöse Läuterung (und wieder nicht) und schließlich die zweite Karriere im Country.

Auf Rock & Roll Time mischt er Country und Rock. Dabei unterstützen ihn fanatische Kollegen wie Neil Young, Jim Keltner, Ronnie Wood, Nils Lofgren, Greg Leisz, Daniel Lanois, Rick Rosas selig oder Robbie Robertson. Gemeinsam marschiert man durch Bob Dylans Stepchild, sichtet Bright Lights, Big City, den Folsom Prison Blues oder, als Höhepunkt des Albums, Sick and Tired von Fats Dominos musikalischem Zwilling Dave Bartholomew.

Keltner hat produziert und rührt in allen Songs lässig seine Trommeln, die Gäste üben sich in Zurückhaltung, überlassen Jerry Lee den Platz im Licht, spielen ihm aber kongenial zu. Das Album schiebt an und klingt dabei vollkommen entspannt. Ein Neville Brother orgelt sanft, und Jerry Lee, der Killer, wie sie ihn nennen, lässt seine starken Finger über die Tasten gleiten, als würde er uns eine Massage geben. Mit Happy End, versteht sich. (flu, DER STANDARD, 5.12.2014)