Eine Zeitreise zum Wiener Fin de Siècle auf dem Semmering wird von Jahr zu Jahr schwieriger, denn viele architektonische Zeugnisse der vorletzten Jahrhundertwende sind bereits verschwunden. Dennoch sei hier eine Tour vorgestellt, die eine Ahnung davon geben kann, wie es zu jener Zeit rund um die Passhöhe ausgesehen haben mag.

Die Runde führt zu einer relativ unbekannten Aussichtshöhe mit Blick auf den Kurort, vorbei an den ehemaligen Grand Hotels und zu einem Punkt mit ungewöhnlich guter Sicht auf das Weltkulturerbe Semmeringbahn bis zur Doppelreiter-Warte.

Die Warte auf der Emma-Höhe
Foto: Andreas Brudnjak

Vom Bahnhof Semmering führt ein Fußweg in knapp 20 Minuten hinauf zur Passhöhe. Weiter zur Seilbahntalstation und auf der Straße linker Hand bis zum Sporthotel. Das erste Ziel, die Warte auf der Emma-Höhe, befindet sich auf der dem Ort zugewandten Seite des Hotels.

Eindrucksvolle Aussicht

Der Pavillon ist für die Allgemeinheit zugänglich, wenngleich der Zugang über das rückseitige Hotelareal erfolgt. Anfang der 1880er-Jahre wurde die Emma-Höhe erstmals als Aussichtsplatz genutzt. In den Jahren 1911-12 ließ der Selfmade-Millionär Josef Deisinger ob dieser herrlichen Kanzellage das Palace Hotel in der Nähe der Höhe errichten.

Das hoteleigene Briefpapier und Werbeplakate des Hotels zeigten bereits damals einen Pavillon. Während sich das Äußere des auch schon als Artis Hotel vermarkteten Hauses merklich verändert hat, blieb dieser Pavillon nahezu unverändert. Die Aussicht ist seit einer Ausholzung wieder sehr eindrucksvoll und reicht vom Kurort über den Wolfsbergkogel, Teile der Semmeringbahn und der Rax bis zur Hohen Wand.

Viel zum Schauen

Zurück auf der Passhöhe folgt man der Hochstraße ins Zentrum des Kurorts. Zehn rote Schaukästen zeigen im Halbjahresrhythmus wechselnde Themen zur Semmering-Region, der erste befindet sich kurz nach der Kehre Eins. Im Anschluss an den Hotelkomplex Panhans führt der Weg zu den Schaukästen sechs und sieben mit vorgelagerten Aussichtsplattformen.

Foto: Andreas Brudnjak

Hat man das Panoramahotel Wagner passiert, folgt die dritte Plattform mit noch wesentlich eindrucksvollerem Blick auf das Südbahnhotel, das Kurhaus und die im Hintergrund aufragende Bergwelt. Weiter führt die Straße bergab, vorbei an der Villa Kleinhans zum Südbahnhotel.

Alpine Nobeladresse

Das 1882 eröffnete Südbahnhotel galt als die alpine Nobeladresse schlechthin für die intellektuellen Eliten des Fin de Siècle. Arthur Schnitzler, Sigmund Freud, Gustav Mahler, Ludwig Wittgenstein, Alma Mahler, Franz Werfel und viele andere verkehrten dort. Nach Österreichs De-facto-Annexion durch die Nationalsozialisten 1938 begann auch der Niedergang des Hotels, seit über 50 Jahren verfällt es und ist für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich.

Die Künstlerin Yvonne Oswald hat sich dieses immer noch magischen Ortes angenommen und begab sich im Haus auf eine Spurensuche, über die 2014 der Fotoband "Das Südbahnhotel" erschienen ist.

Interessanter Mix

Bei der Haltestelle Wolfsbergkogel - drei Kilometer nach der Passhöhe - beginnt der letzte Abschnitt des Rundkurses mit dem Besuch der Doppelreiter-Warte. Der Weg dorthin führt am 1909 errichteten und ebenfalls seit Jahren geschlossenen Kurhaus Semmering mit seinem interessanten baulichen Mix aus Heimatstilelementen, Schlossarchitektur und dekorativem Jugendstil vorbei.

Blick auf Breitenstein von der Doppelreiter-Warte
Foto: Andreas Brudnjak

Die Warte ist vermutlich der beste Platz, um einen Eindruck von der Ingenieurskunst des Karl Ritter von Ghega zu bekommen, der die Semmeringbahn plante. Dem Betrachter zeigt sich die grandiose Linienführung von der Galerie in der Weinzettlwand über den Bahnhof Breitenstein bis zum Krausel-Klause-Viadukt. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts befand sich an diesem Punkt eine einfache Parapluie-Warte. Zu sehen gab es damals jede Menge Landschaft - noch ganz ohne ikonische Semmering-Architektur. (Andreas Brudnjak, DER STANDARD, 6.12.2014)