Ein dichter weißer Teppich liegt über den Gipfeln, die sich am Horizont aufbauen. Kaum einer von ihnen ist höher als 3500 Meter, und dennoch wirkt die Kulisse atemberaubend. Mit gezuckerten Häuptern wachen die mächtigen "Drei Schwestern", eine imposante Felsformation, über den Eingang zum Banff-Nationalpark. Bei solchen Bildern erblassen Älpler regelmäßig vor Neid, wenn sie daheim vor den Fernsehgeräten sitzen und sehen, mit welchen Schneemengen die kanadische Provinz Alberta schon im Dezember gesegnet ist - wie etwa am vergangenen Wochenende bei der Abfahrt der Damen in Lake Louise.

Arktische Hochs schicken Kaltluft in den Süden

Das Stichwort heißt Champagne-Powder. Häufig setzen in den Rocky Mountains bereits im November und Dezember intensive Schneefälle ein. Bedingt durch die arktischen Hochs, die ihre Kaltluft in den Süden schicken, bleibt der Schnee lange extrem trocken und wird nicht so klebrig wie in anderen Skigebieten. "Die Vorzüge dieses Naturwunders haben sich herumgesprochen", weiß Simon Moffatt nur zu gut, der einst als arbeitssuchender Skilehrer aus dem fernen Neuseeland anreiste.

Foto: Simon Moffatt/Ski Norquay

Ohne Halt baumeln seine Beine in dem wackeligen Sessellift, während er über die Hänge unter sich schwärmt. Fußhalterungen, auf denen man seine Ski geruhsam parken kann, sind hier unüblich. Als Simon auf beheizte Sitze angesprochen wird, die in Europa überall Einzug halten, entlockt ihm dies nur ein süffisantes Grinsen: "Seid ihr zum Skifahren oder zum Popowärmen gekommen?" Doch bei bis zu minus 35 Grad, auf die das Thermometer im Jänner fallen kann, gäbe es unnötigere Anschaffungen. Frieren aus Bewegungsmangel muss man dennoch nicht, lange Liftschlangen wie in den Alpen sind in Alberta selten.

Banff, die "Hauptstadt des Nationalparks"

Gemeinsam mit seiner Frau und seiner sechsjährigen Tochter lebt Simon im quirligen Zentrum von Banff. Dass er sich in der "Hauptstadt des Nationalparks" niederlassen durfte, hängt mit seinem Job zusammen. Denn lediglich die Tatsache, dass er am Hausberg Mount Norquay beschäftigt ist, lässt es zu, dass er hier leben darf. Wohnsitz nur gegen Arbeitsnachweis, heißt die Losung, die die wachsende Zahl "kalter Betten", also vor allem Zweitwohnsitze der Schickeria aus der 140 Kilometer östlich gelegenen Metropole Calgary, begrenzen soll. Anders sieht es bei den Touristen aus, die auch aus Europa nach Alberta pilgern, um sich vom Champagne-Powder berauschen zu lassen. Ihre Quote wächst stetig zur Freude von Simon, der damit seinen Arbeitsplatz gesichert sieht.

Weiße Wolken

Beim Ausstieg des North-American-Lifts geht der Skilehrer direkt in den ersten Schwung über und hält an einer steilen Kante: Das ist der "Gun Run", angeblich Kanadas größte skifahrerische Herausforderung: Auf 600 Metern Piste werden 300 Meter Gefälle bewältigt. Der Blick fällt tief und findet keinen Halt mehr, lediglich ein kleines Nebelfeld weiter unten scheint einen aufzufangen.

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Foto: AP Photo/Mount Norquay/Paul Zizka

"Kettenrasseln gehört bei uns zum Geschäft, furchteinflößende Namen für Pisten sind Pflicht", erklärt Shannon Martin nur wenige Kilometer weiter in Lake Louise, dem zweiten der drei Skigebiete, die zusammen mit Sunshine Village die "Big 3" ergeben. Shannon wuchs im australischen Perth auf und hat mit 21 Jahren zum ersten Mal Schnee gesehen. Er kam wie Simon zunächst mit einem befristeten Work-and-Travel-Visum als Fotograf in die kanadische Provinz.

Keine Aprè-Ski-Beschallung

Auf 2.700 Metern steht er nun nahe dem Gipfel des Lipalian Mountain vor der Abfahrt "Elevator Shaft". Ein markantes Schild warnt: "Nur für Geübte", zu denen sich Shannon ohne Frage zählen darf. Wie in den USA steht Sicherheit beim Skifahren auch in Kanada hoch im Kurs, weshalb auf der Piste mit dem schönen Namen "Delirium Dive" in Sunshine Village sogar Lawinenausstattung vorgeschrieben ist.

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Foto: REUTERS/Mark Blinch

Auf dem "Elevator Shaft" braucht es hingegen nur einige scharfkantige Schwünge, damit man die mit Felskuppen gespickte Strecke absolvieren kann. "So schwer ist das nicht", meint Shannon und legt einen abrupten Stopp hin, der ihn in eine weiße Staubwolke hüllt. In Alberta bekomme nämlich jeder Skifahrer ein völlig kostenloses Upgrade: Dank des griffigen Schnees fahren hier alle angeblich um mindestens ein bis zwei Klassen besser als andernorts. Was er nicht dazusagt: Das Downgrade in Alberta ist sogar noch wertvoller. Ohne Après-Ski-Beschallung und meist sogar ohne Handyempfang genießt man den Champagne-Powder in aller Ruhe. (Jens-Martin Trick, Rondo, DER STANDARD, 12.12.2014)