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Umgab sich gerne mit unbequemen Genies: die Kritikerin Berta Zuckerkandl.

Foto: Picturedesk/ÖNB/Madame d'Ora, Atelier

"Ich bin telefonsüchtig": So beginnt die Selbstbeschreibung Berta Zuckerkandls in einem neuen Hörbuch, das kürzlich im Monoverlag erschienen ist. Die Schauspielerin Karin Lischka verleiht der berühmten Journalistin, Kritikerin und Übersetzerin darin ihre Stimme.

Berta Zuckerkandl wurde am 13. April 1864 in Wien als Tochter des Verlegers Moriz Szeps geboren und genoss in einem bildungsbürgerlichen jüdischen Haushalt eine ausgezeichnete Erziehung. 1886 heiratete sie den Anatomieprofessor Emil Zuckerkandl und folgte ihm nach Graz, das sie eine "gegen den Geist gehässige Provinzstadt" nannte. Im selben Jahr heiratete ihre Schwester Sophie einen gewissen Paul Clemenceau, den Bruder des späteren französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau, was den lebenslangen Bezug der Zuckerkandls zu Frankreich verstärkte.

Im literarischen Salon

Berta Zuckerkandl auf ihr Tochter- oder Ehefrausein zu reduzieren wäre sträflich kurz gegriffen. Nicht so sehr, wo sie herkam, sondern was sie aus sich gemacht hat, soll im Vordergrund stehen: Sie arbeitet als Journalistin und führt nach ihrer Rückkehr nach Wien einen literarischen Salon, in dem die bedeutendsten Kunstschaffenden ihrer Zeit ein- und ausgehen. Sie alle aufzuzählen würde den Rahmen sprengen - genannt sei Alma Mahler, damals noch Schindler, die ihren späteren Mann Gustav Mahler in Anwesenheit Gustav Klimts bei einem Empfang der Zuckerkandl kennenlernte. Diesen Abend beschreibt Berta Zuckerkandl selbst in einem ihrer "Briefe nach Paris" an die Schwester.

Ihre pointierte Art zu erzählen wird darin ebenso lebendig wie ihre Fähigkeit, Charaktere mit wenigen Worten trefflich zu zeichnen. In Lischkas Vortrag kommt der analytische, aber nie gehässige Blick der Zuckerkandl gut zur Geltung.

Als Kulturbolschewikin verunglimpft

Ergänzt werden die Lesestücke durch sorgfältig ausgewählte Musikstücke (interpretiert vom Pianisten Gottlieb Wallisch), etwa von Maurice Ravel, über den die Zuckerkandl schreibt: "Wie herrlich, mit einem Genie befreundet zu sein, aber wie unbequem!" Sie hatte dem lebensfremden Komponisten bei einer Nachtzugfahrt freundlich Mantel und Schal überlassen, während sie selbst fror.

Das anekdotisch Leichte dieser Passagen verstellt nicht den Blick auf die politische Person Berta Zuckerkandl: Immer wieder half sie durch ihre Kontakte nach Frankreich geschickt und diplomatisch auch auf dem politischen Parkett. Eine "finanzielle Injektion" gegen die Inflation, gebilligt von Frankreich beim Völkerbund, erschien ihr als "beste Waffe gegen die Anschlusspropaganda". Vergebens - in den 1930er-Jahren bereits als Kulturbolschewikin verunglimpft, musste sie nach dem Anschluss 1938 nach Paris fliehen. 1940 folgte sie ihrem Sohn Fritz nach Algier, von wo aus sie in Radiosendungen der Alliierten zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten aufrief. 1945 kehrte sie, bereits schwer krank, nach Paris zurück und starb dort am 16. Oktober. (Tanja Paar, DER STANDARD, 10.12.2014)