Wien - Der Nationalrat hat am Mittwoch mit Koalitionsmehrheit die umstrittene Pflegegeldnovelle beschlossen, die einen erschwerten Zugang zu den Stufen 1 und 2 vorsieht. Die Opposition protestierte: Die Gesetzesänderung sei der "sozialpolitische Schandfleck des Jahres 2014", schimpfte etwa FPÖ-Sozialsprecher Herbert Kickl.

Der Beschluss bringt im ersten Schritt ab 2015 einen erschwerten Zugang zu den Pflegestufen 1 und 2. Stufe 1 wird künftig erst ab mehr als 65 Stunden Betreuungsbedarf pro Monat gewährt (bisher 60), Stufe 2 ab 95 Stunden (bisher 85). Die somit erzielten Einsparungen (19 Millionen Euro 2015 und 57 Millionen Euro 2016) finanzieren in einem zweiten Schritt die Anhebung des Pflegegeldes im Jahr 2016 um zwei Prozent. Es wird sich dabei um die erste Aufstockung seit 2009 handeln.

Kickl konzentrierte sich in seinem Redebeitrag auf den ersten Punkt: SPÖ und ÖVP würden mit 1. Jänner "tausende Menschen" vom Zugang aussperren, "weil Sie angeblich kein Geld haben", kritisierte er die Regierungsparteien. "Für viele Menschen in diesem Land ist das eine Überlebensfrage", meinte Kickl. "Sie sollten sich in Grund und Boden genieren."

Grüne sehen "Finanztrick"

Die grüne Sozialsprecherin Judith Schwentner sprach sich ebenfalls gegen die Anhebung des Mindestpflegebedarfs in den Stufen 1 und 2 aus. Es handle sich um einen "Finanztrick" und nicht mehr. SPÖ und ÖVP verkauften die Erhöhung, verschwiegen aber gleichzeitig, dass die Erhöhung durch den erschwerten Zugang finanziert werde, erklärte auch Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker. So eine Politik sei "das Kleben von Pflastern". Den Zugang zu erschweren sei "absolut der falsche Weg", betonte auch die geschäftsführende Klubobfrau des Team Stronach, Waltraud Dietrich.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) verteidigte die Novelle. Man habe auch Verantwortung gegenüber dem Budget - da und dort müsse man "dämpfen", da sage er den Menschen auch die Wahrheit, betonte er. "Wir dämpfen den Zugang, ja", man werde aber weiterhin mehr Geld ausgeben. Dem Armutsargument hielt Hundstorfer entgegen, dass beim Pflegegeld nicht gefragt werde, "wer bist du". Auch sei die Masse der Behinderten nicht betroffen, weil sie automatisch in höhere Pflegestufen kommen, und dies solle auch in Zukunft so bleiben.

Verhinderte Abstimmung

Ein ungewöhnlicher Vorfall hat am Mittwochnachmittag drei Abgeordnete an der Abstimmung unter anderem über die Pflegegeldreform gehindert. Wegen eines Feueralarms, der im Plenarsaal nicht zu vernehmen war, wurde das Parlamentsgebäude abgesperrt und zwei von einer Pause zurückkehrende Mandatare der Opposition und einer der Koalition wurden nicht mehr eingelassen. Da der gerade amtsführende Zweite Präsident Karlheinz Kopf (ÖVP) nichts von dem Alarm und der dadurch ausgelösten Verhinderung der Abgeordneten wusste, ließ er ganz normal abstimmen.

Der Beschluss der Pflegegeld-Reform muss wiederholt werden. Da drei Abgeordnete wegen eines Feueralarms nicht ins Parlament zurück gelassen wurden, konnten sie an der Abstimmung nicht teilnehmen. Nunmehr hat die Präsidiale Mittwochabend entschieden, dass es hier Probleme bezüglich der Ausübung des freien Mandats geben könnte, weshalb die Vorlage neu eingebracht wird.

Technisch funktioniert das so, dass im Anschluss an die heutige Plenarsitzung der Sozialausschuss zusammentritt und die vorliegende Novelle ein weiteres Mal fertig für den Beschluss macht. Dieser wird gegen Ende des morgigen Plenums gefällt.(APA, 10.12.2014)