Maria Vassilakou deutet der SPÖ, dass sich diese beim Wahlrecht bewegen müsse. "Wir haben uns öffentlich bewegt. Das hat wehgetan. Die SP ist von einem Kompromiss nur einen Schritt entfernt."

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Wien – Seit mehr als drei Jahren verhandelt die rot-grüne Wiener Stadtregierung bereits ein neues Wahlrecht. Seit Monaten sind die verschiedenen Positionen aber derart festgefahren, dass bei Gesprächen laut Insidern kein Fortschritt mehr zu erkennen war. Das Projekt gefährdet den Koalitionsfrieden, den SP und Grüne öffentlich zuletzt nur noch mit äußerster Anstrengung zur Schau stellen konnten.

Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou reicht es jetzt: Sie macht das bislang nur den Verhandlungspartnern bekannte letzte grüne Angebot an die SP im Gespräch mit dem STANDARD teilweise öffentlich. "Es ist eine Entscheidung, die uns wehtut", sagt Vassilakou. "Aber es ist ein Angebot, das lautet: 'Ja, treffen wir uns in der Mitte.'" Das habe zuletzt auch Bürgermeister Michael Häupl (SP) gefordert.

Mehrheitsfördernde Komponente

Konkret geht es um die mehrheitsfördernde Komponente im Wahlrecht, die die SP als stimmenstärkste Partei über Gebühr bevorzugt. Bei der Wahl 2010 erhielten die Roten mit 44,34 Prozent der Stimmen 49 von 100 Mandaten. Im Kompromissvorschlag der Grünen würde die SP bei dem exakt gleichen Ergebnis bei der Wahl 2015 nur 47 Mandate einheimsen.

ÖVP und Grüne würden dann je eines gewinnen, die Mandate für die FPÖ würden gleich bleiben. Vassilakou: "Uns geht es darum, Privilegien abzuschaffen." Die Aufteilung der Stadtratsposten (aktuell sieben für die SP, einer für die Grünen) würde unberührt bleiben.

Vorstoß nicht abgesprochen

Eine Absolute für die SP sei zwar weiter rechnerisch mit weniger als 50 Prozent der Stimmen zu erreichen. Aber nicht – wie bisher laut Experten möglich – mit rund 45 Prozent der Stimmen. Von der Vision einer absoluten Mandatsmehrheit müsse sich die SP aber wohl verabschieden. Vassilakou: "Mit Stand heute ist davon auszugehen, dass auch die Neos den Einzug in den Gemeinderat schaffen."

Dazu, ob Häupl den Vorstoß der Grünen als Affront auffassen und die Koalition aufkündigen könnte, sagte Vassilakou: "Ich weiß es nicht. Meine Aufgabe ist es, das Regierungsübereinkommen umzusetzen. Ich gehe davon aus, dass die SP nicht säumig sein wird."

Im Übereinkommen hätten sich Rot und Grün zu einem fairen Verhältniswahlrecht verpflichtet. Dieser Punkt ist laut Vassilakou als einziger noch nicht umgesetzt worden, der Rest wurde "in gutem bis sehr gutem Einvernehmen" umgesetzt.

Noch als Oppositionspartei hatten sich die Grünen bereits 2010 in einem Notariatsakt mit VP und FP verpflichtet, das Wahlrecht so zu ändern, dass es dem "Prinzip 'Jede Stimme ist gleich viel wert' möglichst nahe kommt". Die Volkspartei und die Freiheitlichen in Wien hatten zuletzt massiv auf die Umsetzung des damaligen Versprechens gepocht.

Kein Plan B

Ein Ultimatum will die Vizebürgermeisterin nicht stellen. "Ich habe keinen Plan B. Ich will eine Lösung. Jetzt." Um Sekunden später nachzureichen: "Bald." Ein weiteres Aufweichen der grünen Position dürfte es mit Vassilakou nicht geben, womit die SP zu einer Reaktion gezwungen wird.

Der reguläre Wahltermin ist für Anfang Oktober 2015 vorgesehen. Die Zeichen mehrten sich aber, dass die Wahl vorverlegt werden könnte. Dazu sollte eine Einigung beim Wahlrecht – die auch aufgrund von Änderungen bei der Briefwahl unabdingbar ist – bis zum Frühjahr stehen.

Während es bei der mehrheitsfördernden Komponente beim Wahlrecht noch Spitz auf Knopf steht, sind sich Rot und Grün bei der Abschaffung der (aktuell vier) nicht amtsführenden Stadträte einig. "Die braucht kein Mensch", sagt Vassilakou. "Das spart uns drei Millionen Euro pro Legislaturperiode." (David Krutzler, DER STANDARD, 11.12.2014)