Die ÖVP probiert es also mit der Karotte vor der roten Nase. Nur wenn die SPÖ zusagt, dass die Ausgaben für Pensionen und den Arbeitsmarkt weniger stark steigen als prognostiziert, wollen die Schwarzen einer zusätzlichen Steuerentlastung bis 2020 zustimmen.

Theoretisch ist das natürlich nicht schlecht. Der Verzicht auf Steuereinnahmen ist nur dann sinnvoll, wenn die Ausgaben nicht explodieren. Realpolitisch hält sich die Bedeutung des schwarzen Vorstoßes aber wohl in Grenzen. Spätestens im Herbst 2018 wird ein neuer Nationalrat gewählt. Eine neue Regierung, wie auch immer sie dann aussehen mag, wird sich nicht zwingend an fünf Jahre zurückliegende Beschlüsse einer alten Regierung halten. Es handelt sich also in erster Linie um einen PR-Gag.

Aber immerhin hat der kleinere Koalitionspartner nun auch ein klein wenig präzisiert, wie er sich eine Steuerreform vorstellen würde. Es liegt ein Tarifmodell auf dem Tisch, und man weiß, wie viel Geld die ÖVP zur Entlastung der Familien und der Betriebe in die Hand nehmen will.

Was nicht auf dem Tisch liegt, ist die viel entscheidendere Frage, wie die Steuerreform im Detail finanziert werden soll. Hier sind sich die vermeintlichen Steuerfeinde SPÖ und ÖVP gar nicht so unähnlich. Die SPÖ hat zwar immerhin einen konkreten Vorschlag für eine Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer sowie einer Vermögensabgabe vorgelegt, aber selbst wenn die Einnahmeschätzungen stimmen, lässt sich damit nur ein Drittel der gewünschten Steuersenkung finanzieren. Wo der Rest herkommen soll? Überschriften und lautes Schweigen.

Der Steuerbetrug soll bekämpft werden. Wunderbar. Aber wie? Die Verwaltung soll gestrafft werden. Wunderbar. Aber durch welche Maßnahmen? Beamte kann man bekanntlich schwer abbauen. Steuerausnahmen sollen auch noch gestrichen werden, hört der Steuerzahler seit Monaten. Da ist sicher viel zu holen. Der Rechnungshof hat bereits Hunderte von Sonderregelungen aufgelistet. Bis jetzt bleiben aber sowohl SPÖ als auch ÖVP die Antwort darauf schuldig, welche Begünstigungen wegfallen sollen – vielleicht deshalb, weil die große Entlastung dann nicht mehr ganz so groß ist?

Die Koalitionspartner wären gut beraten, sich schleunigst der Kompromissfindung zu widmen. Das Bild, das Rot-Schwarz in den vergangenen Tagen abgegeben hat, lässt Erinnerungen an die verfahrene Situation unter ÖVP-Chef Michael Spindelegger hochkommen.

Die Regierung kann es sich nicht erlauben, monatelang zu diskutieren, ob auf Kinokarten oder Schnittblumen zehn oder doch 20 Prozent Mehrwertsteuer eingehoben werden sollen. Profitieren wird ansonsten nur einer, der nicht am Steuerverhandlungstisch sitzt: Heinz-Christian Strache.

In einer Phase, in der die Wirtschaft fast zum Erliegen gekommen ist, braucht Österreich nüchterne Analytiker. Die ÖVP wird, im Sinne der Chancengleichheit der jungen Generation, mit einer Neuauflage der Erbschafts- und Schenkungssteuer (oder einer reformierten Grundsteuer) leben können. Die SPÖ kann auch dann vor ihre Wähler treten, wenn sie keine klassische Vermögenssubstanzsteuer oder absurd hohe Steuersätze bei Erbschaften durchsetzt. Je länger die Illusion aufrechterhalten wird, 100 Prozent seiner Anliegen durchbringen zu wollen, desto größer wird am Ende der Schmerz. (Günther Oswald, DER STANDARD, 11.12.2014)