Wiens Bürgermeister Michel Häupl (SPÖ) und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) sollen ihren mehrmonatigen Streit um eine Zahl beendet haben. Derzeit ist sie eine 1, bei der kommenden Wahl würde sie auf 0,6 reduziert, ab 2020 auf 0,5. Die Frage, die selten beantwortet wird, ist: Was tut diese Zahl? Zur Erklärung begeben wir uns in die Tiefen der Wiener Wahlordnung.

Was macht nun diese Zahl? Sie ein ist Teil eines Systems, das es einfacher macht, Grundmandate in den Wahlkreisen zu bekommen - sie macht Grundmandate "billiger" und Restmandate dementsprechend "teurer".

Die 100 Sitze im Wiener Gemeinderat werden in einem zweistufigen Verfahren vergeben. Zuerst werden die Grundmandate berechnet: Mandate, die Parteien aufgrund ihrer Ergebnisse in den einzelnen Wahlkreisen bekommen. Danach werden in einem zweiten Schritt die restlichen Sitze auf die Parteien aufgeteilt.

Was die Änderung der Wahlordnung bedeutet

Ziel der Grünen war es, das Erreichen eines Grundmandats zu erschweren, um damit mehr Mandate im zweiten Schritt verteilen zu können. Da von den Grundmandaten stimmenstarke Parteien besonders profitieren, kommt diese Änderung vor allem kleinen Parteien zugute.

Wir haben berechnet, was die Änderungen bewirkt hätte, wenn 2010 in diesem Modus gewählt worden wäre: bei der Regelung die nun bis 2020 gelten soll, wären nur 66 statt 74 der 100 Mandate als Grundmandate vergeben worden, bei der entgültigen Regelung, die ab 2020 in Kraft sein soll, nur 65.

Wie berechnet sich das?

Schritt 1: Die Grundmandate

Die Wahlordnung teilt Wien in 18 Wahlkreise ein. Außer dem ersten und zweiten Wahlkreis entsprechen diese den Bezirken. Im ersten und zweiten Wahlkreis werden jeweils der 1. ,4., 5. und 6. beziehungsweise der 7., 8. und 9. Bezirk zusammengefasst. Jeder dieser Wahlkreise erhält nun, basierend auf der Zahl der dort lebenden österreichischen Staatsbürger, eine bestimmte Anzahl an Mandaten - die Grundmandate. Um die Grundmandate zu berechnen, wird zuerst die Wahlzahl ermittelt. Sie bestimmt, wie viele Stimmen für ein Grundmandat im jeweiligen Wahlkreis nötig sind: Eine Partei erhält so viele Grundmandate, wie die Wahlzahl in der Anzahl ihrer Stimmen enthalten ist.

Die Wahlzahl berechnet sich derzeit aus der Anzahl der abgegebenen gültigen Stimmen, die durch die Anzahl der zu vergebenden Mandate plus 1 geteilt wird. Um genau diese "1" dreht sich die Diskussion: Sie verkleinert die Wahlzahl. Werden zum Beispiel in einem Wahlkreis vier Mandate vergeben, sind für ein Grundmandat derzeit nicht 25 Prozent, sondern nur 20 Prozent nötig, also ein Fünftel statt ein Viertel aller Stimmen. Das macht es großen Parteien einfacher, Grundmandate zu bekommen. Wird, wie von den Grünen gefordert, die zu den Mandaten addierte Zahl von 1 auf 0,5 reduziert, wird es schwerer, Grundmandate zu erlangen, weil dadurch die Wahlzahl steigt.

Schritt 2: Die Restmandate

Alle nicht als Grundmandate verteilten Mandate und die Reststimmen (Stimmen, die nicht auf Grundmandate verbraucht wurden) werden im zweiten Schritt verteilt. Jetzt müssen die restlichen Stimmen und Mandate auf Parteien aufgeteilt werden. In diesem Schritt werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens ein Grundmandat oder gemeindeweit mehr als fünf Prozent aller Wählerstimmen erlangt haben.

Um die Mandatsverteilung zu ermitteln, wird zunächst auch hier eine Wahlzahl berechnet. Deren Berechnung ist allerdings etwas komplexer. Dazu wird eine Reihe gebildet, in der die Reststimmen der Parteien jeweils durch 1, 2, 3 und so weiter dividiert werden. Wenn zum Beispiel 26 Mandate im zweiten Schritt vergeben werden, wird die 26-höchste Zahl der so gebildeten Reihe als Wahlzahl verwendet. Nun erhält jede Partei so viele der noch zu vergebenden Mandate, wie die Wahlzahl in der Anzahl ihrer Reststimmen enthalten ist.

Auswirkungen auf die Mandatsverteilung

Dieses System bevorzugt theoretisch zwei Arten von Parteien: Großparteien, die in allen Bezirken stark vertreten sind und kleine Parteien, die nur in wenigen Bezirken sehr stark sind. In der letzten Wahl waren aber keine solchen kleinen Parteien vertreten.

Wie hätte sich dadurch die Sitzverteilung im Gemeinderat geändert? Wäre 2010 mit der Zahl 0,6 gewählt worden, hätte die SPÖ 47 (statt 49), die Grünen 12 (11) und die ÖVP 14 (13) Sitze erlangt. Für die FPÖ hätte sich gegenüber dem Ergebnis von 2010 nichts geändert.

Und mit der Zahl 0,5? Mit dem Stimmverhalten 2010 gibt es keine Änderung der Mandatsverteilung im Vergleich zu 0,6. Es sind aber durchaus Situationen möglich, in denen auch dieser kleine Unterschied zu Verschiebungen zwischen Grund- und Restmandaten und zwischen Parteien führen würde. (Michael Bauer und Markus Hametner, derStandard.at, 5.2.2014)