Hätte sich mehr Innovatives gewünscht: Michaela Reitterer.

Foto: Zoidl

Das Motel One ragt 60 Meter in die Höhe.

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Das Wohn- und Hotelprojekt der Signa wird gleich auf Stelzen stehen.

Visualisierung: Signa

Wenn Michaela Reitterer, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung, über das Areal um den neuen Hauptbahnhof spaziert, schüttelt sie oft den Kopf. Drei Hotels mit fast 2000 Betten befinden sich derzeit im Bau, ähnlich viele gibt es bereits. "Ein Wahnsinn" ist das für Reitterer. Denn die Zeiten für Hotels hätten sich geändert: Niemand käme heute noch am Bahnhof an und suche sich erst dann ein Hotel - das werde heute vorab über das Internet erledigt. "Aber nicht die Hoteliers sperren diese Hotels auf, sondern die Investoren."

Seit drei Jahren ist die Hotelexpertin nicht mehr hier gewesen, auf diesem Areal, das mit 110 Hektar als die größte Baustelle Europas gilt. "Damals war hier nur eine Grube", sagt sie. Nun ist eine Stadt entstanden: Inmitten von Baustellenkränen und Lkws lässt sich bereits erahnen, wie es hier einmal ausschauen wird.

Die Hotelexpertin hätte sich innovativere Hotelkonzepte gewünscht. Auch Retail-Berater Andreas Hacker ist enttäuscht. Er hat vor einigen Jahren gemeinsam mit einem Team internationaler Experten einen Entwurf für das Areal vorgelegt: Ein eigener Stadtteil sollte hier entstehen, ein "Stadtzentrum eines neuen Wiens" - inklusive Martkthalle, Museen und spannender Hotels. "Ich hätte mir Hotels wie das Soho House in Berlin gewünscht", sagt Hacker. Daraus wurde nichts.

Erstes Wiener "Co-Working-Hotel"

Heute dominieren internationale Ketten: Das Motel One hat erst vor kurzem seine Dachgleiche gefeiert. Sechzig Meter ragt der Hotel-Tower, der einmal 530 Zimmer beherbergen wird, hinter dem Hauptbahnhof in die Höhe. Es soll das bisher größte Hotel der Motel One Group werden. Gleich daneben wird am Star Inn mit Fassade in Schachbrettoptik gewerkt. "Schauen wir mal", sagt Reitterer über die architektonische Qualität der Häuser. "Aber um 49 Euro pro Nacht braucht man keine schöne Fassade."

Ausnahmen gibt es: Das bereits 2011 eröffnete Hotel Daniel und das diesem nicht ganz unähnliche, im Sonnwendviertel gelegene Hotel Zeitgeist zum Beispiel - und auch Wiens erstes selbstdeklariertes "Co-Working-Hotel": das Hotel Schani, das in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation entwickelt wurde. In Sichtweite des Star Inn, hinter einer Baugrube, ist der Baufortschritt unübersehbar: Die Fassade, heute noch schmucklos, soll bei der Eröffnung in wenigen Monaten im Stil des "Wiener Geflechts" der Thonet-Sessel erstrahlen. Hinter dem Projekt steht die Wiener Hoteliersfamilie Komarek. Der Innenausbau des Hotels ist fertig, derzeit wird an der Möbeleinrichtung gefeilt.

Spiel mit dem Wienerischen

"Wir wollen ein Wiener Produkt erschaffen", sagt Geschäftsführer Benedikt Komarek, der derzeit noch in einem temporären Büro unweit der Baustelle waltet. Das soll sowohl durch Designelemente als auch durch ein Spiel mit Sprache glücken. Fünf der 135 Zimmer werden Gäste außerdem mit Zukunftstechnologie des Fraunhofer-Instituts überraschen. Was genau man sich davon erwarten darf, ist derzeit noch streng geheim. Ein Hauch von Zukunft weht aber auch durch die anderen Zimmer: Die Zimmertüren werden mit einem digitalen Schlüssel geöffnet, der beim mobilen Check-in aufs Handy geladen wird. Auch das Hoteltelefon wird durch eine App ersetzt. Co-Working in der Lobby soll Hotelgästen und Wienern zur Verfügung stehen.

Auch ein Hotel im Vier-Sterne-plus-Bereich wird entstehen: Die Signa Holding entwickelt entlang der Arsenalstraße gegenüber vom 21er-Haus das Projekt "Parkhotel und Parkapartments am Belvedere". Über den potenziellen Betreiber wird zwar schon viel gemunkelt, offiziell ist laut Signa aber noch nichts. Bemerkenswert wird auf jeden Fall die Architektur sein: Die 350 Apartments und das Hotel werden - zumindest auf den ersten Blick - auf luftigen Stelzen balancieren und so Ausblick auf den Namensgeber des Viertels, das Belvedere, bieten. Baubeginn ist nächstes Jahr.

13 Millionen Nächtigungen

Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Wien wird in Zukunft mehr Betten brauchen - das findet auch Martin Schaffer vom Beratungsunternehmen MRP Hotels. Mit 13 Millionen Nächtigungen wird die Bundeshauptstadt heuer einen neuen Rekord erzielen, so viel weiß man jetzt schon. Tendenz steigend. "Ich bin überzeugt davon, dass diese Hotels erfolgreich sein werden", sagt Schaffer mit Blick auf den Hauptbahnhof. Diese seien stadtnah und an den Flughafen angebunden. Das Areal sei zudem ein guter Firmenstandort. Zwar gebe es tatsächlich nicht viel Innovatives, "aber ein Hauptbahnhof ist auch nicht der Platz für Boutiquehotels". Andere Standorte in der Innenstadt seien dafür besser geeignet.

Zwar werden mehr Hotelbetten benötigt, alle jetzt am Markt befindlichen dürften sich aber trotzdem nicht halten: "Einfach nur ein Privathotel zu haben und jahrelang nichts zu investieren, geht sich nicht mehr aus", sagt Reitterer. Speziell am unteren Ende des Spektrums wird noch einiges wegfallen, meinen die Experten.

Weitere Projekte

Rund um den Hauptbahnhof wird unterdessen weitergebaut. Neben dem Erste Campus wird auf sechs Baufeldern das Quartier Belvedere Central von Strauss & Partner entwickelt. Ein Ibis und ein Novotel sollen im Bauteil 5 neben Kongress- und Gastronomieangeboten entstehen. Die "richtigen Bauarbeiten" beginnen im März, berichtet der Geschäftsführer Claus Stadler, gebaggert wird jetzt schon. Sorge, dass die Konkurrenz groß ist, hat er nicht: Das sei "locker machbar", besonders wenn man die Hoteldichte um den Bahnhof mit Städten wie Berlin und München vergleiche.

Andere Projekte stehen noch ganz am Anfang: Einen Steinwurf entfernt wird die BAI im Frühjahr einen Architekturwettbewerb für ein Grundstück gegenüber des Schweizer Gartens starten. Hauptsächlich Wohnungen sollen dort entstehen - aber auch ein Hotel oder Serviced Apartments seien möglich, sagt Jan Kircher von der BAI.

Michaela Reitterer wünscht sich, dass dann irgendwann, wenn all diese Hotels fertig sind, Ruhe am Wiener Hotelmarkt einkehrt: "Ich hoffe ja, dass niemand so narrisch ist und dann noch ein Hotel hier baut." (Franziska Zoidl, DER STANDARD, 13.12.2014)