(Reger Betrieb. Ein Praktikant des Österreichischen Rundfunks tritt zu einer mehrere Pakete balancierenden Frau Mitte dreißig und hält ihr ein Mikrofon vor das Gesicht.)

DER PRAKTIKANT: Das Weihnachtsgeschäft, sagen die Experten, läuft in diesem Jahr so gut wie nie zuvor. Sie tragen da auch, wie ich sehe, eine Menge Packerln. Eine Art Kaufrausch?

DIE FRAU: Aber überhaupt nicht! Zu Weihnachten beschenkt man eben seine Lieben. Sinnvoll müssen die Geschenke sein, das ist das Um und Auf. Mein Mann wünscht sich diesen Eiswürfelbereiter schon seit Monaten, und die Mama kriegt einen Sodastreamer, weil die soll sowieso mehr trinken in ihrem Alter. Ein schönes Mikrofon haben Sie da übrigens. Genau so was suche ich für meine Tochter. Weil die singt ja so gern. Und sie ist auch unglaublich talentiert. Sie müssten sie einmal hören, wenn sie La le lu singt, das ist so berührend! Was täte das denn kosten, das Mikro?

DER PRAKTIKANT: Das ist leider unverkäuflich. Das steht ORF drauf, sehen Sie?

DIE FRAU: Eben, darum geht's ja! Sie spielt immer Die große Chance mit ihren Freundinnen, da wäre das ideal. Ich gebe Ihnen dreihundert Euro.

DER PRAKTIKANT (lacht): Dreihundert Euro, ich bitte Sie! Das ist ein Spezialmikrofon!

DIE FRAU: Fünfhundert?

DER PRAKTIKANT: So was kriegt man nicht unter achthundert, und das auch nur, wenn's gebraucht ist. Aber wie gesagt, das hier ist unverkäuflich.

DIE FRAU: Und wenn ich Ihnen tausend gebe?

DER PRAKTIKANT (nach kurzem Überlegen): Na gut, weil Sie's sind. Ich sage drinnen einfach, ich hab's verloren. Mehr als einen Tausender können sie von meinem Gehalt sowieso nicht abziehen.

(Er gibt ihr das Mikrofon und erhält tausend Euro. Die Frau entfernt sich, dankbar lächelnd. Der Praktikant, nachdem er ihr einige Zeit nachgeblickt hat, geht in eine wenig belebte Ecke des Kaufhauses, wo, neben einer Schachtel mit ausgemusterten ORF-Mikrofonen, der Rundfunkdirektor ihn erwartet.)

DER RUNDFUNKDIREKTOR: Und?

DER PRAKTIKANT: Tausend.

DER RUNDFUNKDIREKTOR: Super! Wenn das so weitergeht, müssen wir Ö1 vielleicht doch nicht einstellen.

(Vorhang)

(Antonio Fian, DER STANDARD, 13./14.12.2014)