Die konstitutive Größe von Unternehmen ist der Mensch. Welches Menschenbild in einer Gemeinschaft vorherrscht, hat daher unmittelbare Auswirkungen auf Management und Führung. Sozialphilosophisch lassen sich individualistische, kollektivistische und integrative Bilder vom Menschen unterscheiden. Gemäß einem individualistischen Menschenbild gilt das Wohlergehen des Individuums, dazu gehört die Realisierung von Wünschen und Zielen, die Kultivierung von Anlagen und Fähigkeiten ebenso wie die Befriedigung von Bedürfnissen, als in sich selbst wertvoll.

Der Gemeinschaft, in der ein Individuum lebt, kommt lediglich instrumenteller Wert zu, deren Gedeihen ein Mittel ist, um den intrinsischen Wert des individuellen Wohlergehens zu realisieren. Zwar können wir ohne Gemeinschaft unsere Individualität nicht verwirklichen, doch letztlich besteht ihr Sinn nur darin, den Individuen ein möglichst gutes Leben zu ermöglichen.

Das Wohlergehen der Gemeinschaft

Umgekehrt verhält es sich gemäß einem kollektivistischen Menschenbild. Diesem zufolge handeln Menschen nicht, um ihre individuellen Interessen zu verfolgen, sondern um zum Gedeihen der Gemeinschaft, in der sie leben und von der sie abhängen, beizutragen. Das Wohlergehen der Gemeinschaft gilt hier als intrinsisch wertvoll, während das einzelne Individuum bloß Mittel zum Zweck ist, um dieses Wohlergehen zu gewährleisten.

Nun ist es weithin unbestritten, dass wir in einer Zeit leben, in der sich vor allem in der westlichen Welt ein hochgradig individualistisches Menschenbild ausgeprägt hat. Was aber bedeutet dieser Befund für Management und Führung? Auf der einen Seite wird gebetsmühlenartig Teamfähigkeit und Konsensorientierung gefordert. Auf der anderen Seite gilt aber gerade die Realisierung von Eigeninteressen als intrinsisch wertvoll.

Unverträgliche Maxime

Dass es sich hierbei um zwei miteinander unverträgliche Maximen sozialen Handelns handelt, ist offensichtlich. Einen Ausweg böte ein integratives Menschenbild. In ihm wird versucht, die Nachteile aus Individualismus und Kollektivismus zu vermeiden. Doch auch hier ergeben sich Probleme: Sofern dieses Menschenbild impliziert, dass Individuen und Gemeinschaften jeweils in sich selbst und füreinander (instrumentell) wertvoll sind, stehen wir vor dem Problem der moralischen Überforderung.

Für welche Handlungsoption sollte man sich denn gegebenenfalls entscheiden, wenn sich das Wohl des Individuums nicht zugleich mit dem Wohl der Gemeinschaft verwirklichen lässt? Man sieht: Will man verstehen, auf welche Weise beziehungsweise aus welchen Motiven die Mitglieder einer Gemeinschaft handeln und wodurch diese Gemeinschaft überhaupt zusammengehalten wird, kommt man nicht umhin, sich aus der Sicht der Philosophie mit der ganz grundlegenden Frage nach dem Menschenbild auseinanderzusetzen. (DER STANDARD, 20./21.12.2014)