Jedes Jahr beenden rund 9000 Jugendliche die Schule, ohne eine Ausbildung zu beginnen. Nun soll eine Ausbildungspflicht kommen.

Foto: Regine Hendrich

Sinn suchend, überfordert, unmotiviert: Es gibt viele Gründe, warum Jugendliche vorzeitig die Schule verlassen, ohne aber einen Lehrplatz zu haben. Jedes Jahr sind es an die 9000, schätzt das Sozialministerium. Diese Gruppe hat die schlechtesten Chancen auf dem Jobmarkt. Wer nur einen Pflichtschulabschluss aufweist, ist statistisch gesehen dreimal so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie Menschen mit Lehrabschluss.

Diese frühen Bildungsabbrecher rücken im neuen Jahr auch wieder stärker in den Fokus der Politik. Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) plant für Ende Jänner eine große Auftaktveranstaltung. Dabei soll über den Regierungsplan einer Ausbildungspflicht bis 18 diskutiert werden. Gemeint ist: Jeder Jugendliche muss ab dem Schuljahr 2016/17 nach der Pflichtschule entweder eine weiterführende Schule besuchen, eine Lehre beginnen oder zumindest staatliche Angebote wie überbetriebliche Lehrausbildungen oder Produktionsschulen in Anspruch nehmen.

Wer sich widersetzt, soll, so die ersten Pläne des Ministers, mit einer Verwaltungsstrafe von 440 Euro (wie beim Schulschwänzen) bestraft werden.

Zahlen müssten freilich die Eltern, weshalb die Pläne nicht unumstritten sind. Skeptisch ist beispielsweise die Arbeiterkammer. Lehrlingsexperte Günther Zauner befürchtet im Gespräch mit dem STANDARD, dass parallel zur Ausbildungspflicht nicht genug Angebote geschaffen werden.

Höhere Kosten

So brauche es nicht nur zusätzliche Plätze bei der überbetrieblichen Ausbildung, sondern auch an den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS). Die Bildungsministerin kämpft aber bereits jetzt mit ihrem Budget. Gleichzeitig müssten die Schulen Jugendliche besser unterstützen und motivieren, fordert Zauner. Jetzt sei es üblich, dass viele Schüler im neunten Schuljahr an den BMHS "rausgeprüft" werden. Es brauche also viele verschiedene Angebote, damit die Ausbildungspflicht funktionieren könne. "Nur mit Sanktionen werden wir nicht weit kommen."

Der Bildungsexperte Johann Bacher von der Johannes-Kepler-Universität Linz geht sogar noch einen Schritt weiter. Er plädiert für eine Ausbildungsgarantie bis 24, da nicht nur die 15- bis 18-Jährigen mit Problemen zu kämpfen haben. Bacher beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Gruppe der "Neets" ("Not in education, employment or training").

Zuletzt zählten rund 75.000 der 15- bis 24-Jährigen zu dieser Gruppe. Da viele von ihnen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen (etwa wegen Betreuungspflichten) oder mangels Perspektive gar nicht suchen, gibt es deutlich mehr Neets als offiziell Arbeitslose. Beim AMS waren zuletzt knapp 47.000 unter 25-Jährige als arbeitslos registriert. Im EU-Vergleich schneidet Österreich bei den Arbeitslosenzahlen trotz zuletzt deutlichen Anstiegs –auch bei den Neets – noch immer sehr gut ab.

Dennoch sieht Bacher noch einiges an Verbesserungspotenzial. Gezielte Programme brauche es beispielsweise für Migranten, die zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr zuwandern. Sie finden oft keinen Zugang zum Bildungssystem, aber auch nicht zum Arbeitsmarkt. Für junge Mütter sei es wichtig, die Kinderbetreuungsangebote für unter Dreijährige weiter auszubauen. Das könne helfen, eine angefangene Ausbildung abzuschließen oder eine neue zu beginnen. Und schließlich brauche es auch mehr geförderte Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder sozial-emotionalen Auffälligkeiten.

Starke Konzentration

Nur über reguläre Lehrstellen werde das Problem nicht zu beheben sein, glaubt auch Zauner. Schon jetzt gibt es deutlich mehr Lehrstellensuchende (5880) als offene Stellen (3224). Das Problem ist auch, dass sich das Angebot relativ stark konzentriert. Mehr als 1300 offene Lehrstellen werden derzeit im Tourismus angeboten, der bei vielen Jugendlichen aber nicht das beste Image genießt.

Im Bereich Metall- und Elektroberufe, für den sich viele Burschen interessieren, gab es zuletzt nur 378 Plätze. "Nicht jeder Jugendliche wird daher seine Wünsche und Begabungen umsetzen können", meint Zauner. Die vor Jahren geäußerte Hoffnung, der demografische Wandel werde den Lehrstellenmangel beseitigen, hat sich bis jetzt nicht bewahrheitet. Seit 2008 ist die Zahl der offenen Stellen nämlich um 25 Prozent gesunken – und damit stärker als die Zahl der Jugendlichen. (Günther Oswald, DER STANDARD, 2.1.2015)