Bild nicht mehr verfügbar.

Bereits zum fünften Mal führte der 78-jährige Zubin Mehta den Taktstock beim traditionellen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Musikverein. Nur beim Radetzky-Marsch kam er ins Schleudern.

Foto: APA/Neubauer

Wien - Für den gemeinen Menschen stellt das Jahresende eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Ausgezehrt von Frondienstverhältnissen aller Art, gezeichnet von Licht-, Wärme- und Schlafmangel, Punschhütten und Small-Talk-Fegefeuern auf betrieblichen und familiären Weihnachtsfeiern, fällt man der nächsten kalendarisch fixierten Feierhölle anheim: Silvester. Öffnet der Zerrüttete am ersten Mittag des neuen Jahres die Augen, spielen auf dem Flachbildschirm wie im ewiggleichen Traumbild die Wiener Philharmoniker.

In den Zeiten der Röhrengeräte gab es noch elegante Ansagerinnen, die mit Stolz alle Länder aufzählten, in die das Kulturereignis übertragen wurde (aktuell: etwa 90); heutzutage sediert ein ausuferndes Vorprogramm, das schon kurz nach Morgengrauen beginnt. Will man sich das antun? Auf keinen Fall. Dann lieber selbst ins Konzert.

Überraschung: Das Konzert gibt es wirklich. Im Saal liefern sich die Blumenbouquets mit dem Blattgold des Großen Musikvereinssaals einen Schlagabtausch, bei dem es nur Verlierer gibt. Scheinwerferbatterien dräuen wie gewitterschwarzes Gewölk. Das Licht ist künstlich, die Luft stickig. Hinter Blütenbauten kauern Kameramänner.

Alle freuen sich auf das Konzert. Luxuriöse, raffinierte, auch geschmackvolle Eleganz im Publikum. Die Japanerinnen in den Kimonos sind wundervoll; der russischen Oligarchenbegleitung im kurzen Knallfarbenen sieht man die Nacht noch an, dem preußischen Landjunker im Frack nicht.

Alter Hase

Und los geht's. Nach Franz Welser-Möst, der 2013 bei seinem zweiten Neujahrskonzert seine unnachahmliche Theologiestudentensprödheit schon etwas minimieren konnte, und Daniel Barenboim, der 2014 mit souveräner emotionaler Trunkenheit wirkte, ist heuer Zubin Mehta dran. Ein alter Hase: Der 78-Jährige leitet das Konzert zum fünften Mal.

Der auf Mehtas studentisches Wirken in Wien bezogene Themenstrang der ersten Programmhälfte wird mit Franz Suppés Ouvertüre zum Lustspiel Ein Morgen, ein Mittag, ein Abend in Wien eröffnet. Tamás Varga ist schon nach ein paar schmissigen Einleitungstakten mit einem elegischen Cellosolo dran und präsentiert es ganz wundervoll.

Nach dem Walzer Märchen aus dem Orient von Johann Strauß Sohn dreht sich bei Josef Strauß' Wiener Leben das Frohsinnskarussell behände; vitaler Esprit belebt bei Eduard Strauß' Polka schnell Wo man lacht und lebt. Landidyll dann bei den Dorfschwalben aus Österreich von Josef Strauß; die mit moussierender Kraft dargebotene Polka schnell Vom Donaustrande von Johann Strauß Sohn bezieht sich wohl auf Mehtas Badegewohnheiten.

Imperialer Pomp

Pause. Beim 75. Neujahrskonzert – die Philharmoniker spenden hierbei 100.000 Euro an "Licht ins Dunkel" – muss bei aller Heiterkeit an düstere Zeiten erinnert werden: Man spielte das erste Strauß-Konzert zum Jahreswechsel 1939, die Einnahmen kamen dem Kriegswinterhilfswerk zugute; 1941 musizierte das Orchester zugunsten der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude. Gut, dass die Wiener Philharmoniker ihr Archiv diesbezüglich spät, aber doch zu öffnen begonnen haben.

Die zweite Programmhälfte steht thematisch im Banne von Jubiläen zweier Wissenschaftsinstitutionen: Johann Strauß' musikalischer Scherz Perpetuum mobile, sein Accelerationen-Walzer und seine Elektro-magnetische Polka künden vom 200-Jahr-Jubiläum der Technischen Universität Wien; tolle Spezialeffekte von der Schlagwerksektion bei Eduard Strauß' Polka schnell Mit Dampf.

Der letzte, 1897 von Johann Strauß Sohn uraufgeführte Walzer An der Elbe verweist dann in nördlichere Gefilde. Wundervoll, diese Wechsel von imperialem Pomp, süßem Schwelgen und tänzerischer Keckheit. Heikle Einsätze bewältigen die Wiener, bei dieser Gelegenheit zum letzten Mal von Konzertmeister Rainer Küchl angeführt, souverän. Als Belohnung dafür bekommen Streicher- und Sous-Chefs beim Champagner-Galopp von Hans Christian Lumbye Schaumwein serviert.

Dem 650-Jahr-Jubiläum der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis wird dann mit der Studenten-Polka von Johann Strauß Sohn und dem Freiheits-Marsch seines Vaters gedacht. Beim Walzer Wein, Weib und Gesang fühlt man sich schon etwas eingelullt von der Stickigkeit im Saal und den vielen Küssen der leichten Muse.

Die letzten Blütenblätter aus der Konfettikanone schweben zur Einleitung des Donauwalzers auf das selige Publikum hernieder. Mehtas konfuse Klatsch-Choreografie beim Radetzky-Marsch lässt die Musiker schmunzeln. Alle toben. Das Neujahrskonzert 2016 – es wird von Mariss Jansons dirigiert werden – kann kommen. (Stefan Ender, DER STANDARD, 2.1.2015)