Da waren es nur noch 15: das ohnehin mohammedkarikaturenfreie Time Magazine betreibt Selbstzensur.

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Der Sender RTL rief während der Geiselnahme in dem Pariser Supermarkt an.

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Hans-Jürgen Rösner in einem Fluchtfahrzeug in Köln während der dreitägigen Geiselnahme im Jahr 1988. Die beiden Bankräuber ließen sich auf ihrer Flucht von den Medien begleiten.

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"Jetzt sag i da amoi ans, Märchenprinz": ein Reporter lässt sich vom Geiselnehmer die Lage in einer Wiener Bank erklären.

koeter999

Nach dem Ende der dreitägigen Jagd auf die Terroristen von Paris beginnt langsam die Aufarbeitung und Analyse der Ereignisse, und die Rollen der verschiedenen Beteiligten von Politik, Exekutive und Medien werden beleuchtet.

Zwar muss auch die Leistung der französischen Behörden, denen bei der Überwachung der amtsbekannten Islamisten Fehler passiert sein dürften, kritisch betrachtet werden. Doch zumindest bei der Stürmung der zwei Orte der Geiselnahmen scheint die Polizei weitgehend fehlerlos gehandelt zu haben, sodass dabei neben den Terroristen keine weiteren Menschen zu Tode kamen.

Bei derartigen Ereignissen ist jedoch auch für die Medien Selbstreflexion wichtig. Verschiedene Fragen der Medienethik stellten sich im Lauf der drei Tage. Die Veröffentlichung des Bildes von der Ermordung des Polizisten Ahmed Merabet vor dem Redaktionsgebäude von Charlie Hebdo durch die Wochenzeitschrift Le Point wurde vom französischen Regierungschef Manuel Valls heftig kritisiert. Le Point rechtfertigte sich unter anderem damit, dass auch die New York Times das Foto groß auf der Titelseite gebracht hatte. Auch in Österreich läuft diesbezüglich eine Debatte.

Auch die Veröffentlichung der Cartoons Charlie Hebdos wurde intensiv diskutiert - darf man Mohammed-Karikaturen zeigen? Und ist ein klares Statement zu "Je suis Charlie" die Beteiligung an einer sich für ein Qualitätsmedium nicht ziemenden Kampagne oder im Gegenteil ein wichtiges, notwendiges Statement für Meinungs- und Pressefreiheit?

Das Time Magazine veröffentlichte eine Bilderstrecke mit erst 19, dann 18 Covers von Charlie Hebdo. Am Tag danach waren es nur noch 16, mittlerweile nur mehr 15. Zwei der verschwundenen Bilder zeigten nicht etwa den Propheten Mohammed, der kam nämlich gleich gar nicht vor, sondern den Papst.

Ein besonders problematisches Kapitel stellen die Telefonate verschiedener Sender mit den Geiselnehmern dar. Zwar führte dabei ein schlecht aufgelegter Telefonhörer dazu, dass die Polizei zusätzliche Informationen vom Geschehen im Pariser Supermarkt erhalten konnte, doch grundsätzlich ist das Verhalten der Journalisten in diesem Punkt mehr als bedenklich.

Zunächst rief der Reporter Igor Sahiri des Senders BFM TV bei der Druckerei außerhalb von Paris an, wo das Brüderpaar Kouachi festsaß - in der Hoffnung, mit einer Geisel sprechen zu können. Doch Chérif Kouachi hob ab und gab dem Journalisten schließlich ein kurzes Interview. Dem Terroristen wurde die Möglichkeit gegeben, seine Motive und Hintergründe zu schildern und damit eine Plattform für seine menschenverachtende Ideologie geboten.

Später am Nachmittag rief der Geiselnehmer Amedy Coulibaly selbst aus dem Supermarkt bei BFM TV mit der Forderung an, dass die Telefonnummer an die Polizei weitergegeben würde. Bald nach diesem Telefonat rief der Sender RTL an, doch Coulibaly nahm den Anruf nicht an, legte aber den Hörer offenbar nicht richtig auf, woraufhin die Redaktion die Gespräche zwischen den Geiseln und dem Terroristen mithören konnte, wodurch sich die Polizei ein Bild von der Lage im Gebäude machen konnte. Die Protokolle wurden erst nach dem Tod Coulibalys veröffentlicht.

Unweigerlich kommt dabei auch die Erinnerung an die Bilder der Geiselnahme von Gladbeck im Jahr 1988 hoch. Die Ereignisse stellen eines der schwärzesten Kapitel der deutschen Mediengeschichte dar, das unfassbare Verhalten der Journalisten führte letztlich, neben einer planlos agierenden Polizei, zum Tod von zwei Geiseln.

Der Deutsche Presserat hielt danach fest, dass es "Interviews mit Geiselnehmern während des Geschehens nicht geben darf". Es sei nicht die Aufgabe von Journalisten, eigenmächtig Vermittlungsversuche zu unternehmen.

Zu einem Reporter eines in Wien beheimateten bunten Blattes hatte sich im Jahr 2007 diese Erkenntnis allerdings noch nicht herumgesprochen, als er bei einem Bankraub mit Geiselnahme auf der Wiener Mariahilfer Straße einfach in der Filiale anrief.

Solche Fehlleistungen derartiger schwarzer Schafe werden sich niemals völlig ausschließen lassen. Trotzdem müssen nach Ereignissen wie dem Anschlag auf Charlie Hebdo und den Geiselnahmen auch die Medien ihre Rolle kritisch hinterfragen. (Michael Vosatka, derStandard.at, 11.1.2014)